Dez 19

Ins Auge fliegender Staub kann uns sehend machen…

Autor: PersonalRadar

Eine kurze Weihnachtsgeschichte…

Es war Nacht. Eine stürmische, kalte Nacht. Sternenleer, unwirklich und tiefdunkel, wie in einem alten muffigen Keller. Niemand war draussen. Alle sassen zuhause in der behaglichen Wärme. Der Wind schien übermütig zu sein. Keck rieb er sich an den Dachziegeln, rüttelte forsch an den nackten Ästen und trieb die fetten, dunklen Wolkenbänke vor sich her.

Plötzlich zischte es scharf. Ein greller Blitz erhellte die Dunkelheit und ein dumpfer, aber heftiger Einschlag folgte. Es roch nach Schwefel. Ein Nachtvogel schrak auf und sein Laut gellte in die Schwärze. Am nächsten Morgen gruben schon ein paar Unentwegte nach der Ursache. Es roch immer noch schrecklich nach Fäulnis. Plötzlich funkelte es glänzend. Bald lag der Brocken frei. In der Tagesausgabe der lokalen Zeitung stand lapidar, dass der Komet, der angeblich die drei Könige vom Morgenland nach Bethlehem führte, an der Erde vorbeiflog, unerklärlicherweise in der Kälte des Alls zerbrach und Teile davon auf die Erde stürzten.

Niemand kam zu Schaden. Die Grabenden arbeiteten stark schwitzend um die Wette, zerschlugen dabei blindwütig die Kometentrümmer in tausend Teile, stopften sich diese, trotz des üblen Geruchs, hastig in die Hosentaschen und verschwanden in alle Himmelsrichtungen. Zurück blieb nur ein leeres Erdloch. Die Freude der Grabenden war von kurzer Dauer. Die Kometenteile zerfielen nach kurzer Zeit und der erhoffte Handelswert löste sich im Nichts auf. Achtlos wurde der Sternenstaub aus den Häusern gefegt und verstreute sich in kurzer Zeit auf der ganzen Welt.

Haben wir uns nicht schon oft in den Augen gerieben? Vielleicht himmlischer Kometenstaub? Kennen Sie das leicht kratzende Gefühl unter dem Lid, das nachfolgende irrlichtende, flirrende Flimmern auf der Netzhaut, begleitet von warmer Tränenflüssigkeit, die uns jeweils blind macht? Manchmal hilft uns das Störende, das Unangenehme, das Mühsame und zuweilen auch das Schmerzhafte eine klare Sicht zu gewinnen. Vielleicht war die Ursache genau dieser Sternenstaub, der dazumal als kompakter Himmelskörper, sich ungestüm in die Erde bohrte. Immer wieder reiben wir uns über das Jahr die Augen. Unerwartet  sind wir ohne Beschwerden. Die Sicht ist klar. Glasklar.

Auch im nächsten Jahr werden wir uns manchmal die Augen reiben müssen. Geniessen Sie jedoch den Moment, wenn die neu gewonnene Wahrnehmung uns Einblicke voller Scharfsicht schenkt. Vielleicht sehen Sie die Welt, die Sie zu kennen glauben, in neuen Farben und Formen.

Die Autorinnen und Autoren von PersonalRadar wünschen allen Lesenden eine schöne und besinnliche Weihnachtszeit und ein wenig Kometenstaub für eine gute Sicht.