Jun 10

Neurologisches Viagra macht Hirne schlaff. ‚Neuro-Enhancer’ sind gefährlich. Gerade in der Arbeitswelt.

Autor: PersonalRadar

In diesem Blog wurde schon mehrere Male darüber geschrieben, dass pharmazeutische Hilfsmittel zur Leistungssteigerung gefährlich sind. Meistens nimmt nach einer Weile die berufliche Leistungskraft stark ab. Die sogenannten ‚Neuro-Enhancer’ verschärfen das Problem noch.

Die Pülverchen, Brausetabletten und farbigen Pillen in den hippigen Blistern beim Grossverteiler, selbstverständlich gleich neben den Ergänzungsmitteln und den Vitaminbomben, die uns vorgaukeln wollen, dass die Frühlingsmüdigkeit und die körperliche Ermattung Hirngespinste sind, springen uns bei jedem Einkauf sofort in die Augen (Bildquelle: www.pixabay.com)

Was sind überhaupt ‚Neuro-Enhancer’? Es sind Präparate und Wirkstoffe, meistens rezeptfrei oder illegal über das Internet beschafft, die Konzentration und die Aufmerksamkeit steigern sollen. Zudem halten sie angeblich länger wach und heben die Stimmung. Das ‚Budget-Kokain’ der nicht ganz Waghalsigen und doch Bedepperten. Das englische Wort ‚Enhancer‘ kann man vom englischen Verb ‚to enhance‘ ableiten. Das heisst übersetzt soviel wie verstärken, anreichern, aufwerten, erhöhen, fördern, unterstützen und verbessern

Die Pülverchen, Brausetabletten und farbigen Pillen in den hippigen Blistern beim Grossverteiler, selbstverständlich gleich neben den Ergänzungsmitteln und den Vitaminbomben, die uns vorgaukeln wollen, dass die Frühlingsmüdigkeit und die körperliche Ermattung Hirngespinste sind, springen uns bei jedem Einkauf sofort in die Augen. Wer will schon nicht fit, gesund und gut aussehend wirken? Am Arbeitsplatz sowieso! Dort wird schlechtes Aussehen immer gleich mit Leistungsverminderung in Zusammenhang gebracht. Schliesslich ist gutes Aussehen Beweis für den Erfolg. Wenn im Leben alles so einfach wäre!

Das stupide ‚Hirndoping‘ wird langsam aber sicher zum Volkslaster. Gerade Medikamente wie  Modafinil und Ritalin werden mehr und mehr zweckentfremdet. Sie wurden entwickelt, um Krankheiten wie ADHS und Narkolepsie behandeln zu können.

Es gibt mehr und mehr Unterstützung für die Einnahme solcher Substanzen. Wenn es mehr nützt als es schadet, was soll dann daran schlecht sein, wird sich mancher fragen. Klar kennen die meisten das morgendliche Doping wie Tee, Kaffee oder die erste Zigarette am Tag, um überhaupt auf Touren zu kommen. Das sind jedoch Hilfsmittel, die nicht gleich euphorisieren, die Realität verzerren und die Selbstüberschätzung um ein Mehrfaches potenzieren. Das Arbeiten unter Einfluss von leistungssteigernden Medikamenten ist hoch gefährlich. Gerade dort wird es fast schon fahrlässig, wo ein gesundes Einschätzungsvermögen, Reaktionszeit und eine ungetrübte Wahrnehmung dazu führen, dass man die richtigen Entscheidungen fällt und seinen Job ohne Einschränkung ausüben kann. ‚Neuro-Enhancer’ haben oft die Wirkung eines ‚Boosters’. Sie wirken ultraschnell, lösen spürbar einen Energieschub aus und vermitteln das Gefühl, dass man fast unzerstörbar ist. Die Nachwirkungen sind dann meistens umso heftiger, wenn nicht nachgelegt wird.

Ein ‚Neuro-Enhancer‘ funktioniert nicht wie ein Triebwerk, das man zündet und dann einfach wieder abstellen kann. Die Nach- und Fehlzündungen sind bei ‚Neuro-Enhancer‘ nicht zu unterschätzen (Bildquelle: www.pixabay.com)

Begriffe wie ‚IQ Performance‘ oder ‚IQ Energy’ kommen aus den Marketingküchen der Hersteller und wollen uns den Eindruck vermitteln, dass wir mit einem spezifischen pharmazeutischen Wirkstoff, der weder medizinisch nötig ist, noch indiziert wäre, die Leistungsfähigkeit des Hirns galoppieren lassen können. Leider ist bei regelmässiger Einnahme das Gegenteil der Fall. Das Hirn kommt aus dem Galopp, wirft den chemischen Jockey ab, läuft direkt in den nächsten Wassergraben und bleibt im schlimmsten Fall mit gebrochenem Bein liegen. Der Metzger kommt.  Oder anders ausgedrückt: Die Menschen, die zuviel von diesen psychoaktiven Substanzen schlucken landen beim Mediziner oder Psychiater.

Auch wenn der ‚Neurohype’ die Menschen dazu verführt mit modernen Hilfsmitteln dem Hirn auf die Sprünge zu helfen, bleibt das ein gefährlicher, dummer und naiver Eingriff. Angebliche Intelligenzsteigerung – oder stimulanz und kognitive Tiefenschärfe erreicht man damit höchstes für eine kurze Zeit.

Als Langzeitfolge wird man einfach langsam weich in der Birne. Und dann fangen die Probleme am Arbeitsplatz oder mit dem privaten Umfeld erst richtig an. Zudem ist die Hirnforschung noch weit davon entfernt, die Möglichkeiten unseres Denkapparates nur ansatzweise zu begreifen. Niemand weiss wirklich genau um die Spätfolgen von solchen Missbräuchen.

Die Leistungskadenz in der helvetischen Berufwelt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark, mitunter brutal entwickelt. Es wird immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigt. Das Hamsterrad wird zum Accessoire der modernen Arbeitswelt. Die Beschwerden wegen Stress, Angst und ‚Burn-out‘ nehmen überdurchschnittlich zu. Da ist der Griff zur Flasche oder zum Medikamentenschrank oft nicht verwunderlich und manchmal durchaus verständlich. Alle hoffen, dass das Rad nicht noch mehr an Geschwindigkeit zulegt, den Hamster rausschleudert und ihm das Rückgrat bricht.

Befindlich- und Persönlichkeitsstörungen nehmen stark zu und die damit zusammenhängenden psychosozialen Begleiterscheinungen sind nicht zu unterschätzen. Leistungssteigernde Substanzen können solche Begleiterscheinungen oft für eine Weile übertünchen. Der nachfolgende Knall und der Zusammenbruch sind dann meistens nicht mehr weit. Die ‚Neuro-Enhancer’ werden auch geschluckt vor Assessments und Prüfungen. Mit den Hilfsmitteln möchten die meisten smarter sein, als sie vielleicht scheinen und einen Eindruck erwecken, den sie als ‚Normalo‘ nie bieten könnten. Allerdings sind solche Massnahmen meistens kontraproduktiv. Gerade jene, die beruflich oft prüfen, fallen solche Verhaltensweisen schnell auf, die nicht unbedingt zur Norm gehören. Ausser die Prüfenden und Einschätzenden haben auch Substanzen geschluckt und befinden sich in einem neurologischen Kokon.

Der Medikamentenmissbrauch ist weit verbreitet und läuft oft versteckt, verschämt ab. Er ist hoch gefährlich und führt dazu, dass die gewünschte Leistungssteigerung ausbleibt.

Ein grosser Teil der Literatur, Kunst und Musik entstand mit Hilfe von psychedelischen Stoffen, die mit ihren bewusstseinserweiternden Wirkungen dazu verhalfen besser über den individuellen Tellerrand blicken zu können. Die meisten Kunstschaffenden wussten jedoch um die Gefahren und setzten diese Substanzen gezielt dann ein, um der versiegenden Fantasie, der beschränkten Vorstellungskraft und der erschlafften Kreativität kurzzeitig neue Dimensionen zu eröffnen.  Viele von ihnen wussten um die Gefahren, dass diese Substanzen bei extensivem Genuss die Grundlagen ihrer Schaffenskraft mehr zerstören als fördern.

Es ist weitaus intelligenter sich solche Stoffe vom Leib zu halten. Sie schädigen, missbrauchen und steigern die Selbstausbeutung bis zum Exzess. Genügend Schlaf, ausgewogene Ernährung und sich glücklich fühlen mit dem was man hat sind die besseren ‚Neuro-Enhancer’.