Dez 3

Das duale Berufsbildungssystem ist fiebrig. Zeit für eine Pille.

Autor: PersonalRadar

Die schweizerische Berufslehre ist ein Erfolgsmodell. Wir werden für dieses Bildungssystem von vielen anderen Nationen beneidet. Allerdings gehen die beruflichen Bildungsanstrengungen in eine Richtung, die uns über kurz oder lang Probleme machen wird.

Das Gesundheitswesen leidet seit Jahren unter Personalmangel. Viele offene Positionen können nur noch mit Fachpersonal aus dem Ausland besetzt werden. Tausende junge Menschen in diesem Land würden gerne im Bereich Pflege und Medizin eine Ausbildung absolvieren. Aber nur wenige von ihnen können sich einen der raren Ausbildungsplätze ergattern. Die Nachfrage ist riesig, aber zu wenig Ausbildungsplätze stehen zur Verfügung.

Als könnten wir uns so eine künstlich verknappte Berufsbildungspolitik im Gesundheitswesen überhaupt noch leisten. Fachmedizin und Pflege sind in der Schweiz ein äusserst wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden.

Diese Bereiche wachsen seit Jahren überdurchschnittlich schnell und sind zu sehr wichtigen Anbietern von anspruchsvollen Arbeitsplätzen und hoch spezialisierten fachmedizinischen Dienstleistungen geworden, die in der helvetischen Arbeitswelt einen wachsenden Einfluss verzeichnen.

Die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft aufgrund demografischer Einflüsse und die medizinische Versorgung auf höchstem Niveau, werden die Gesundheitsbranche und die medizinischen Dienstleister in Zukunft stark fordern. Aufgrund der akzentuierten wie auch forciert wachsenden ‚Ökonomisierung‘ der Spitzenmedizin und der Pflegebereiche, zumal auch der Druck der Krankenkassen und deren Versicherten nicht abnimmt, steigen die Anforderungen von Jahr zu Jahr, möglichst viel medizinische Leistung für immer weniger Aufwand erbringen zu müssen. Das akademische wie auch nichtakademische medizinische Fachpersonal, das Spital- und Gesundheitsmanagement, das Pflegepersonal und die paramedizinischen Subbranchen werden zusammen mit der Gesundheitspolitik sich vielen neuen, herausfordernden Entwicklungen stellen müssen.

Die Gesundheitsökonomie wird in Zukunft mehr Einfluss gewinnen und zusammen mit der Medizin- und Pharmabranche neue Wege gehen müssen, um durch bereichsübergreifende Forschung, Lehre, medizinische Behandlung und Pflege die Effizienz nachhaltig steigern zu können.

Aber nicht nur im medizinischen Berufsbildungsbereich läuft manches schief.

Selbstverständlich kann die Schweiz auf ihr duales Berufsbildungssystem nach wie vor stolz sein. Es trägt dazu bei, dass die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen eine der niedrigsten ist auf der ganzen Welt. Junge Menschen finden aufgrund ihrer guten Berufsausbildung weitaus schneller eine Arbeitsstelle als zum Beispiel viele Gleichaltrigen in der EU.

Doch das System ist in Gefahr, wenn es sich nicht den neuen Anforderungen und Bedürfnissen der globalisierten Wirtschaft anpasst. In den Betrieben wird nach wie vor ausgebildet, als ob sich draussen in der Welt nichts verändert. Das Gewerbe und die Industrie schrumpfen. Trotzdem werden dort junge Menschen zuhauf ausgebildet, wie wenn diese Wirtschaftszweige in den nächsten Jahren wieder neue Triebe bilden und kräftig wachsen.

Dem ist nicht so. Es ist vor allem der Dienstleistungssektor, der überdurchschnittlich stark wächst. 3 von 4 Erwerbstätigen arbeiten in diesem Bereich. Der Handel, die Informatik, das Verkehrswesen, die Gesundheitsbranche und das Finanzwesen benötigen in den nächsten Jahren viele neue gut ausgebildete Berufsleute. Diese Branchen werden in den nächsten Jahren dermassen schnell wachsen, dass die ausbildenden Betriebe gar nicht mehr nachkommen.

Die künstliche Verknappung von Ausbildungsplätzen wie zum Beispiel im Gesundheitswesen ist daher in keiner Weise nachvollziehbar.

Ein grosser Teil des im Ausland rekrutieren Fachpersonals muss nachträglich in der Schweiz noch für die helvetischen Ansprüche fit gemacht werden. Es müssen zum Teil noch grössere Wissenslücken geschlossen werden, bevor dieses Fachkräfte überhaupt das hiesige Leistungsniveau erreichen, das die verschiedenen Anspruchsgruppen gewohnt sind.

Bilden wir junge Menschen von Anfang hier richtig aus, brauchen wir jene schlechter Ausgebildeten von dort viel weniger.

  • Gemäss Prognosen braucht dieses Land in den nächsten 6 – 8 Jahren 32’000 zusätzliche Informatiker/-innen. Die werden uns nämlich fehlen.
  • Auch in den Pflegeabteilungen sieht es in den nächsten Jahren düster aus. Jedes Jahr werden ca. 4’600 Personen im Pflegebereich zuwenig ausgebildet. Die Hoffnung diese Lücken mit niedlich-servilen Pflegerobotern, wie wir sie vielleicht schon aus Japan kennen, schliessen zu können, stirbt zuletzt aber ganz sicher. Sie ist eine naive Illusion. Der Pflegenotstand wird Realität werden und im schlimmsten Fall bleiben Menschen medizinisch unterversorgt und sterben früher.

Der ‚Thinktank’ Avenir Suisse bringt es trocken auf den Punkt: Im gewerblich-industriellen Bereich werden ca. 20’000 Ausbildungsplätze zu viel angeboten. Im Gegensatz zum Dienstleistungsbereich fehlen just 20’000 Ausbildungsplätze.

Das berufliche Bildungssystem der Schweiz produziert Kenntnisse, die gar nicht mehr gebraucht werden und vernachlässigt sensible Bereiche, die klar Zukunft bedeuten und auch unsere Volkswirtschaft stimuliert.

Die schweizerische Berufslehre hat eine sehr grosse Zukunft.

Das Bildungsangebot muss jedoch dringend den kommenden Bedürfnissen der Wirtschaft angepasst werden. Lehrlinge aus dem betrieblich-industriellen Bereich lassen ihre Arbeitgeber Geld verdienen. Wobei jene aus dem Dienstleistungsbereich zuerst einmal kräftig kosten. Viele Informatiklernende ‚rentieren’ erst nach der Ausbildung. Aber die Schweiz braucht nicht mehr Coiffeusen oder Metzger. Sie braucht gut ausgebildete Berufsleute in Branchen, die eine extrem hohe Wertschöpfungsdichte haben. Diese Fähigkeiten werden in naher Zukunft bestimmend sein. Verpassen die Ausbildungsbetriebe den Anschluss, dann wird in Zukunft manches Unternehmen einfach schliessen müssen, weil es für die komplexe Welt einfach zuwenig fachlich versierte Berufsleute gibt!