Jan 29

Morbus Diplomitis oder wie der Mops Akademiker wird…

Autor: PersonalRadar

Sie stecken in einer Ausbildung? Dann stecken sie voll im Trend. Ausbildung ist gut. Der Wahn, jeden Ausbildungsmist auch noch zu diplomieren, nimmt überhand.

Nicht jedes Diplom fördert die berufliche Entwicklung (Bildquelle: www.pixabay.com, Fotograf: Manfred Steger)

Immer mehr Berufstätige erkennen den Wert einer Weiterbildung. Gerade junge Menschen nutzen die vielen Möglichkeiten und bilden sich emsig weiter. Die Bildungsindustrie nutzt das fleissig und bietet viele Weiterbildungsmöglichkeiten an, deren Nutzen jedoch oft obskur und auf der Strecke bleibt.

Die Bildungsanbieter stehen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Der Wettbewerb ist ausgeprägt. Wer nicht mithält fällt vom Karren, wird vom aggressiven Bildungsmarkt überrollt und von den Bildungshungrigen nicht mehr berücksichtigt. Das treibt zuweilen seltsame Blüten in der Bildungslandschaft. Kein Tag vergeht ohne neues Bildungsangebot. Zuweilen reibt man sich ungläubig die Augen über die vielen bizarren Angebote. Die eigentlichen Bildungsziele – diese müssen ja wirtschaftlich auch einigermassen Sinn machen – können gelegentlich nur über Vor- und Zwischenausbildungen erreicht werden. Hat man diese quasi im Sack, dann kann man davon ausgehen, dass man zu den nächsten Bildungslehrgängen auch zugelassen wird. Somit können Bildungsstrecken zum Marathon werden bis man die Ziellinie schlussendlich erreicht. Im Geldsack ist dann nicht mehr viel vorhanden, weil solche Ausbildungen kostspielig sind und nicht jeder Arbeitgeber diese finanziert oder teilweise unterstützt.

Viele Diplome, die diese Bildungsindustrie zuweilen druckt und damit auch hoffnungsvolle Menschen auf den Arbeitsmarkt entlässt, sind total wert- und nutzlos. Sie sind nicht anerkannt, man kennt den eigentlichen Wert oder den inneren Gehalt der Ausbildung nicht und die Vielfalt an Abschlüssen trägt dazu bei, dass die Wirtschaft langsam aber sicher die Übersicht verliert. Gerade Absolventen/-innen von guten Ausbildungen machen dann die Erfahrung, dass sie mehr und mehr Konkurrenz aus der Billig- und Schmuddelecke erhalten und diese Mitbewerbenden die Selektionsbemühungen unnötig verlängern, weil selbst gut Informierte sich zuerst gründlich ein Bild machen müssen, ob eine Ausbildung nun das bietet was man im Betrieb auch sucht und nötig hat.

Der Morbus Diplomitis ist eine hartnäckige Krankheit. Hoffentlich finden die staatlichen Bildungslenker bald gute Wirkstoffe, um diese um sich greifende Epidemie wieder in den Griff zu bekommen.

Bildung ist gut. Sie macht die Gesellschaft und die Wirtschaft stark und widerstandsfähig. Sie trägt zum grossen Erfolg und Wohlstand dieses Landes viel bei. Viele sind aber verunsichert und verlieren über die wilde ‚Bildungstopografie’ die Übersicht. Welche Weiterbildung führt auf den Gipfel und welche einfach ins nächste Tal? Ein reichhaltiges Bildungsangebot ist per se immer gut. Wenn es dann auch noch intensiv genutzt wird, umso besser. Viele dieser Angebote lassen aber den Mehrwert im Vergleich zum aufgebrachten Geldwert eindeutig vermissen. Was nützt die blinde Bildungswut und die vielen schönen Diplome auf Büttenpapier mit dicken Siegeln versehen, wenn sie nichts bringen? Das bleibt ein Hürdenlauf ohne gestoppte Zeit.

Weiterbildung ist gut. Die Halbwertzeit von beruflicher Bildung, also die Zeitspanne, nach der eine mit der Zeit abnehmende Grösse die Hälfte des anfänglichen Werts erreicht, wird immer kürzer. Daher ist es umso wichtiger, dass der Wert der Weiterbildung gut eingeschätzt werden kann, damit diese im beruflichen Alltag viel bringt, sich auch auf dem Lohnkonto auswirkt und dazu führt, dass die persönliche Befriedigung an der beruflichen Tätigkeit erhalten bleibt (Bildquelle: www.pixabay.com, Fotograf: OpenClipart-Vectors)

Andres Büchi, Chefredaktor des Beobachters, machte mal in einem Editorial mit dem Titel ‚Die blinde Jagd nach Diplomen’ in der Ausgabe 26 vom 21. Dezember 2012 folgende Aussage:

Die Schweiz verfügt nur über einen Rohstoff: Wissen. Damit dieser wertvoll bleibt und den Lebensstandard sichert, muss Wissen stets erneuert und gepflegt werden, damit es gewinnbringend bleibt. Daher ist es wichtig, dass Weiterbildungen angeboten werden, die substanziell Menschen weiter bringen und dazu beitragen, dass die Wissenserzeugung nach wie vor auf einem hohen Stand bleibt.

‚Der Weiterbildungsmarkt ist längst unüberschaubar, doch er wird nach Kräften weiter gefördert’

Da trifft er in der Tat immer noch den wunden Punkt. Es braucht Regeln, Leitplanken und Richtlinien, die den Bildungsmarkt übersichtlicher gestalten. Kleinkarierte, dirigistische Massnahmen, die alles übernormieren, sind sicher der falsche Ansatz. In seinem Editorial schreibt er weiter:

‚Es ist zu hoffen, dass hier nicht bürokratisch überreguliert und –reglementiert wird. Was wir brauchen, ist kein durchnormierter und kontrollierter Weiterbildungssupermarkt für jedermanns Selbstverwirklichung. Es genügen klare Kriterien zur Orientierungshilfe und ein möglichst auf die Bedürfnisse des Stellenmarkts ausgerichtetes subventioniertes Grundangebot, das insbesondere jene fördert, deren Jobchancen im Interesse des ganzen Landes erhöht werden sollen. Alles, was darüber hinausgeht, darf ruhig dem Markt überlassen werden.’

Der Chefredaktor des Beobachters bringt es glasklar auf den Punkt: Diplome auf Vorrat bringen nichts. Schon gar nichts für die Wirtschaft. Alles andere ist Privatsache. Der Artikel wurde dazumal von den Journalistinnen Claudia Imfeld, Nicole Krättli und Susanne Loacker recherchiert und unter dem Titel ‚Keine Zukunft trotz Diplom? Über fünf Milliarden Franken geben die Schweizerinnen und Schweizer jährlich für Weiterbildung aus. Lohnt sich das wirklich?’ publiziert. Mit diesem LINK kommen Sie gleich zum nach wie vor sehr lesenswerten Beitrag!

Kürzlich erschien in der Mediengruppe Tamedia ein anderer Artikel mit dem amüsanten Titel ‚Master of Schummelei‘. In diesem wird beschrieben, dass in den Karriernetzwerken, wenn es um Ausbildungen, Abschlüsse und Titel geht, nicht immer alles koscher ist. Der Journalist machte die Probe auf Exempel und… Lesen sie die amüsante Geschichte einfach selber mit diesem LINK nach.

Man kann es mit der bekannten Redeweise von Louise Elisabeth de Meuron-von Tscharner alias Madame de Meuron, eine Persönlichkeit aus dem Berner Patriziat, vergleichen, die für ihren Satz wie folgt berühmt wurde: ‚Syt dihr öpper oder nämet dihr Lohn?‘ („Sind Sie jemand oder beziehen Sie Lohn?“).

Das Bildungsystem der Schweiz (Quelle: Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI)

Um jemand beruflich zu sein, ist es sicher von Vorteil, wenn man dafür ackert, solide Berufs- und Weiterbildungen abschliesst, um als Lohnabhängiger oder Selbständiger jemand zu werden, der die alte Klassengesellschaft nie kennen lernen musste und an die Meritokratie glaubt, also an das Primat der Leistung.

Es ist aber nicht alles planbar. Es ist auch nicht alles absehbar. Viele haben ausgezeichnete Ausbildungen abgeschlossen und kommen dennoch nie auf einen grünen Zweig. Andere fangen bescheiden an, machen bescheiden weiter, sind erstaunlich erfolgreich und geniessen die Opulenz der Möglichkeiten, die das Leben in all seinen Facetten bietet. Ausbildung alleine, entscheidet nicht über den Erfolg im Berufsleben. Oft spielen auch andere Faktoren wie Persönlichkeit, Charakter, Glück, Beziehungen, Geld, Skrupellosigkeit, Kaltblütigkeit, Frechheit oder Unbekümmertheit mit, die Karrieren nach oben bringen. Die Ausbildung alleine macht es nicht aus. Leider. Die Gerechtigkeit des Seins ist wieder ein anderes Thema.

Nachfolgend noch eine wenig Lesestoff zu diesem Thema:

  1. Auf der Jagd nach Diplomen
  2. Berufsbildung in der Schweiz – Fakten und Zahlen 2019