Apr 7

Das Zielvereinbarungsgespräch stirbt…

Autor: PersonalRadar

…noch lange nicht! Die Jahresgespräche sind für beide Seiten belastend. Sie heissen auch Zielvereinbarungsgespräche oder Mitarbeitergespräche (MAG). Für viele ist das eine lästige Pflichtübung, die angeblich nicht viel bringt. Die meisten Vorgesetzten hassen es. Die Mitarbeitenden sowieso.

Bei aller bemühten Objektivität, bleibt bei der Beurteilung von Menschen immer ein klebriger Teil an Subjektivität übrig. (Bildquelle: www.pixabay.com)

Die Vorgesetzten brauchen immer viel Zeit bis alle Gespräche durch sind. Die Letzten beissen dann die Hunde. Es werden Textbausteine mit Kreuzchen, Häkchen oder andern Zeichen ergänzt und dann in eine Wertetabelle eingefügt. Dazu gibt es dann noch individuelle Bemerkungen. Es wird geseufzt, geflucht oder in stoischer Gelassenheit das Prozedere hinter sich gebracht, weil es einfach erwartet oder vom Management eingefordert wird.  Die Jahresgespräche dienen auch der Personalentwicklung, wenn es dann überhaupt so etwas im Betrieb gibt.

Interessant ist dabei, dass beide Seiten retrospektiv über eine bestimmte Performancezeit urteilen müssen. Mitarbeitende machen das mittels Selbstreflektion und beurteilen sich manchmal eher kritisch. Beide Seiten geben sich in der Regel viel Mühe, damit die Beurteilung nicht zum Minenfeld wird und am Schluss ein Konflikt entsteht, der zu Missmut, Kündigungen oder Krach führt.

Genügt ein Zielvereinbarungsgespräch pro Jahr? Wahrscheinlich nicht, weil es oft zur Alibiübung verkommt, zeitfressend ist und der Wert der Sache meistens zweifelhaft ist.

Bei guten Mitarbeitenden schliesst man zum vergangenen Jahr auf und versucht die Wertung leicht nach oben zu setzen, damit eine Lohnerhöhung auch Sinn macht oder gerechtfertigt kann, wenn überhaupt ein Budget vorliegt oder das Salärwesen es so vorsieht. Gibt es beim neuen Lohnbudget keinen Raum für Salärerhöhungen, tendieren Vorgesetzte eher zu gleichen Wertung wie im Vorjahr. Ganz nach dem Motto: ‚Der Job wurde gut gemacht. Es gibt aber keinen Anlass für eine Lohnerhöhung.‘ Ausser die Führungsaufgabe nimmt zu, eine Weiterbildung wurde erfolgreich abgeschlossen oder man erklimmt die nächste Sprosse auf der Karriereleiter.

Es gibt immer mehr Unternehmen, die die Jahresgespräche spülen und sich davon befreien. Es ist eine wachsende Minderheit, die der Meinung ist, dass es besser sei, wenn man während des Jahres öfters miteinander spricht, Ziele dennoch formuliert und diese immer wieder auf ihren Erreichungsgrad überprüft.

Wieviele Sterne heimsen sie dieses Jahr ein oder vergeben sie? Das sogeannte Rating mit Sternchen, kennen alle von Beurteilungssystemen, die es erlauben die Performance und die Qualität von Hotels, Restaurants, Firmen uvm. beurteilen zu können. Vielleicht wird das eines Tages auch bei Qualifikationsgesprächen eingeführt (Bildquelle: www.pixabay.com, Foto: Gerd Altmann)

Die Jahresgespräche füllen in der HR Forschung ganze Bücherregale. Was ist gut, was ist richtig und was ist zielführend? Vieles ist auch schwammig und luftig. Können die vorgegebenen Wertkonstrukte einer längeren Zeitdauer wirklich standhalten? Sind diese aussagekräftig, ohne die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen einzubeziehen?

Ist nicht Willkür dabei? Kann man die Komplexität eines Menschen wirklich in ein Raster pressen und seine individuelle Leistung beurteilen. Sind die messbaren Daten, die er durch das Jahr erzeugt, die einzige Richtschnur, um seine Arbeit wirklich profund beurteilen zu können? Fragen über Fragen.

Armin Trost hat ein interessantes Buch mit dem Titel ‚Warum das jährliche Mitarbeitergespräch in modernen Arbeitswelten versagt‘ geschrieben. Er ist Professor an der Business School Hochschule Furtwangen, Diplompsychologe und promovierte in Philosophie. Seine Schwerpunkte bilden Talent Management, Personalgewinnung und die Zukunft der Arbeit.

In diesem setzt er sich kritisch mit dem jährlichen Mitarbeitergespräch auseinander. Die damit angestrebten Ziele und Praktiken werden auf den Prüfstand gestellt und vor dem Hintergrund unterschiedlicher, unternehmerischer Rahmenbedingungen diskutiert.

Im Fokus stehen dabei die Führungskultur, das Aufgabenumfeld und der organisationale Kontext. Dabei wird deutlich, dass das jährliche Mitarbeitergespräch ein hierarchisches, statisches Organisationsverständnis widerspiegelt. Es steht insofern im Widerspruch zu einer neuen Unternehmensrealität, die von Komplexität und Unsicherheit geprägt ist. Der Sinn dieses Gesprächs kann und sollte in der heutigen Zeit vehement hinterfragt werden.

Das Thema ist nicht neu, aber die Betrachtungsweise sehr wohl. Der Kopf ist rund und lässt das Denken in alle Richtungen zu (Bildquelle: www.armintrost.de)

Neben aller Kritik zeigt Trost in seinem Buch aber auch praktische Alternativen auf. Während klassische Ansätze des jährlichen Mitarbeitergesprächs sehr strukturiert, mit zahlreichen Zielsetzungen überladen (all at once), top-down und individuell durchgeführt werden, die Ergebnisse in einem System oder bei der Personalabteilung landen, funktionieren moderne Ansätze gänzlich anders.

Ziele werden in Gruppen gemeinsam vereinbart, in kurzen Zyklen, Feedback und Beurteilungen erfolgen ‚peer-to-peer‘ in sozialen Settings. Das Feedback von Kunden und Kollegen/-innen wird wichtiger als das Feedback vom direkten Vorgesetzten. Im Sinne einer stärkeren Selbststeuerung bleiben Ergebnisse bei den verantwortlichen Mitarbeitenden, Teams und Führungskräften.

Inhalte werden weniger vorstrukturiert und quantitativ, sondern eher offen und qualitativ behandelt. Was getan wird, geht deutlich mehr von den Teams und den Mitarbeitern aus und wird weniger „von oben“ vorgegeben und verordnet. Dabei haben Führungskräfte mehr eine Vermittlerrolle als die eines Richters. Die Personalabteilung nimmt mehr die Position von Befähigern als die von Schiedsrichtern und zentralen Kontrolleuren ein (Quelle: www.armintrost.de)

Das jährliche Mitarbeitergespräch wird nicht sofort sterben. Es wird sich langlebig und zäh verteidigen. In vielen Betrieben wird es aber über kurz oder lang langsam das Zeitliche segnen und anderen Beurteilungssystemen Platz machen müssen. Ob diese dann soviel besser sind, muss sich zuerst noch weisen. Vielleicht entsprechen diese besser dem Zeitgeist und stossen daher auf mehr Akzeptanz.

Die Beurteilung von Menschen und ihrer Leistungen bleibt schwierig und anspruchsvoll!