Okt 19

Weiterbildung für temporär Arbeitende: Ein neues, vielversprechendes Handlungsfeld.

Autor: swissstaffing

Die moderne Arbeitswelt hat sich vom Konzept der Lebensarbeitsstelle verabschiedet. Der Beamtenstatus wurde vielerorts abgeschafft, Kündigungsbestimmungen gelockert, die Arbeit wird projektweise strukturiert, die Lohnkosten zusehendes als variable Kosten angesehen und entsprechend gehandhabt, oder anders gesagt: Die Belegschaft wird flexibilisiert (Quelle: swissstaffing).

Hinter diesen Entwicklungen stehen Phänomene wie Globalisierung, Wirtschaftswachstum und infolge gestiegenen Wohlstandes veränderte Lebenspläne. Wenn die Unternehmen dank liberalisierter Märkte zwar einerseits mehr Konkurrenz ausgesetzt sind, andererseits aber auch einem vergrösserten Absatzmarkt gegenüberstehen, führt dies zu zweierlei: Sie müssen im verstärkten Wettbewerb Wege finden, um ihre Kosten zu reduzieren und vor allem besser dem Absatz anzupassen. Gelingt dies, werden sie häufig zu Wachstumsmotoren. Die Individuen, die sich aufgrund dieses Wachstums in vielen Fällen eines höheren Wohlstandsniveaus erfreuen, entwickeln ihrerseits neuartige Bedürfnisse. Der Job wird nicht mehr «nur» als Einkommensquelle zur Sicherung der Lebensgrundlagen angesehen, sondern auch als Inspirationsquelle und Ort der Selbstverwirklichung. Daraus entsteht der Wunsch vieler Menschen, den Job im Laufe ihres Erwerbslebens mehrmals zu wechseln, in verschiedenen Gebieten eingesetzt zu werden, sich dadurch zu verbessern und manchmal auch Auszeiten für Privates zu nehmen.

Wenn sich die Unternehmen also projektweise strukturieren und Anstellungen auf Zeit eingehen, kommt das einigen Individuen sehr entgegen.

Dass die skizzierte, neue, flexiblere und schnelllebige Arbeitswelt funktioniert, bedingt aber eine reibungslose Mobilität am Arbeitsmarkt. Job wechselnde Menschen dürfen nicht zu viel Zeit zwischen ihren Jobs verlieren und in die Arbeitslosigkeit abgleiten. Möglichst ungehinderte Übergänge zwischen den Jobs müssen sichergestellt sein – ganz nach der Idee der Flexicurity.

Und hier kommt – neben anderem – die Weiterbildung oder anders gesagt das Life Long Learning ins Spiel. Es stellt sicher, dass die Menschen in einer Welt steigender Anforderungen ihre Employability behalten, sie bereiten die Erwerbspersonen auf einen neuen Job vor und unterstützen sie bei den gewünschten oder erforderlichen Jobwechseln. Viele Unternehmen haben die Bedeutung der Weiterbildung erkannt. Die Globalisierung wird von den Schweizer Unternehmen nicht nur als steigender Wettbewerbsdruck, sondern insbesondere auch als Strukturwandel und Anstieg der Qualifikationsanforderungen wahrgenommen. Entsprechend bildet die Weiterbildungsförderung eine verbreitete Antwort der Unternehmen auf die Globalisierung.

Laut einer Umfrage von swissstaffing1 investieren 61 Prozent der Schweizer Unternehmen in die Weiterbildungsförderung.

  • Die Herausforderungen am modernen Arbeitsmarkt

So einleuchtend und überzeugend das Konzept der Flexicurity ist, es darf auch nicht in Vergessenheit geraten, dass es gewisse Gesellschaftsschichten gibt, die den Anschluss am Arbeitsmarkt zu verpassen drohen. Die Sprache ist hier von gering Qualifizierten. In der Schweiz machen Personen ohne nachobligatorische Ausbildung 13 Prozent der 25- bis 64-jährigen Bevölkerung aus. Will man vermeiden, dass diese Personen in die längerfristige oder wiederholte Arbeitslosigkeit abdriften und die Sockelarbeitslosigkeit vergrössern, so ist die Qualifizierung der Betroffenen ein vielversprechender Ansatzpunkt. Denn die Sockelarbeitslosigkeit ist Ausdruck des Mismatch zwischen dem Qualifikationsangebot und der Qualifikationsnachfrage. Das Angebot an verfügbaren Arbeitskräften nimmt mit zunehmender Qualifikation ab, gleicht also einer Pyramide, während die Arbeitsnachfrage eher die Form eines Fünfeckes aufweist, mit dem Höchstwert im mittleren Qualifikationsbereich. Dies führt zu einem Überangebot an niedrig Qualifizierten und zu einem Nachfrageüberhang für mittel bis hoch qualifizierte Arbeitskräfte.

Der Mismatch am Arbeitsmarkt verdeutlicht, dass das Phänomen der Sockelarbeitslosigkeit real ist, dass es aber auch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es in einem anderen Qualifikationssegment einen Arbeitskräftemangel gibt und Massnahmen zu dessen Überwindung zu ergreifen sind. Gemäss Schätzungen der Schweizerischen Nationalbank beträgt die Sockelarbeitslosigkeit in der Schweiz zwischen 100 000 und 150 000 Personen.

Handkehrum waren im Herbst 2008 nach eigenen Angaben 30 Prozent der Schweizer Unternehmen einem Arbeitskräftemangel ausgesetzt. Wenn es gelänge – nämlich mit Weiterbildungsmassnahmen –, die stellenlosen Personen in offene Stellen überzuführen, wären zwei Fliegen mit einem Schlag getroffen: die Sockelarbeitslosigkeit und der Fachkräftemangel.

  • Weiterbildung für temporär Arbeitende: ein Teil der Lösung

Einen Beitrag zu diesem hoch gesteckten Ziel möchte swissstaffing zusammen mit seinen Sozialpartnern mit der Weiterbildungsförderung für temporär Arbeitende im Rahmen des Gesamtarbeitsvertrages (GAV) Personalverleih leisten. Dazu werden die Sozialpartner eine Geschäftsstelle für die Weiterbildungsförderung namens swisstemptraining errichten, welche am Sitz von swissstaffing betrieben wird. Die Weiterbildung von temporär Arbeitenden ist von besonderer Bedeutung: Ihre Anstellungsdauer ist häufig kurz, Jobwechsel sind (noch) häufiger als bei Festangestellten. Überdies sind Personen mit Integrationsschwierigkeiten am (regulären) Arbeitsmarkt bzw. mit einer eingeschränkten Employability unter den temporär Arbeitenden übervertreten (Junge, AusländerInnen, gering Qualifizierte).

Das oben eruierte Zielpublikum kann man auf diesem Weg somit zu einem beachtlichen Teil erreichen: Rund 10 Prozent aller 600 000 niedrig qualifizierten Erwerbspersonen (ohne nachobligatorische Bildung) in der Schweiz sind als temporär Arbeitende eingesetzt. Im Rahmen des GAV Personalverleih werden die temporär Arbeitenden und die Personalverleiher zusammen einen Lohnbeitrag von 0,4 Prozent an die Weiterbildungsförderung leisten. Die erhobenen Mittel werden in Form von Weiterbildungsgutscheinen, die zum Besuch eines anerkannten Kurses zur beruflichen Weiterbildung berechtigen, an die temporär Arbeitenden verteilt. Bereits nach 22 Arbeitstagen soll ein solcher Weiterbildungsgutschein, der einen Teil der Kurskosten, der Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftsspesen und des Lohnausfalls deckt, beantragt werden können. Aufgrund der sehr breiten Branchenexposition der temporär Arbeitenden wäre der Aufbau eines eigenen Kursangebots viel zu aufwändig und das Angebot kaum umfassend genug.

Der einzig zielführende Weg sind Partnerschaften, die swissstaffing und seine Sozialpartner mit bestehenden Weiterbildungsinstitutionen eingehen – sei es von Branchenorganen, der öffentlichen Hand oder privater Anbieter. Ziel der Partnerschaften muss sein, das jeweilige Kursangebot, wo nötig, den Bedürfnissen der temporär Arbeitenden anzupassen, beispielsweise punkto Kurskadenz, -dauer oder -sprache.

  • Gutscheine funktionieren – insbesondere bei wenig Qualifizierten

Dass sich die Beteiligung an Weiterbildung mit der Vergabe von Weiterbildungsgutscheinen steigern lässt, zeigt eine Feldstudie der Universität Bern. Anfang 2006 wurden im Rahmen eines vom Bundesamt für Berufsbildung und Technologie beauftragten Feldversuches 2400 Bildungsgutscheine verteilt. Dann wurde analysiert, wie sich die Gutscheinempfänger im Vergleich mit 10 000 anderen Personen verhalten. Insgesamt resultierte eine Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung um knappe 20 Prozent.

Der finanzielle Anreiz der Gutscheine wirkte vor allem bei gering Qualifizierten. Akademiker haben die Gutscheine zwar häufiger eingesetzt als geringer Qualifizierte. 80 Prozent der beobachteten Akademiker hätten die gewählten Weiterbildungskurse aber auch ohne die Gutscheine besucht. Deshalb empfiehlt der Studienleiter, die Ausgabe von Gutscheinen auf tiefe Bildungsschichten zu konzentrieren, da dort durch den finanziellen Anreiz die grösste Wirkung ausgelöst werden könne. Offenbar kann die Vergabe von Weiterbildungsgutscheinen die Beteiligung auch nachhaltig steigern.

Interessanterweise haben sich diejenigen Personen, die den Weiterbildungsgutschein eingelöst haben, nämlich auch im darauf folgenden Jahr signifikant häufiger (und diesmal nicht mehr subventioniert!) weitergebildet als Personen, die keinen Gutschein erhalten hatten. Es ist also wahrscheinlich, dass auch mit der Gutscheinvergabe im Rahmen des GAV Personalverleih eine höhere Weiterbildungsbeteiligung ausgelöst werden kann. Denn über diese Institution erreicht man eine spezifische Gruppe von Erwerbstätigen, die temporär Arbeitenden, unter denen, wie dargelegt, gerade gering Qualifizierte überrepräsentiert sind.

Dem Ziel, mit Weiterbildungsförderung die Sockelarbeitslosigkeit zugunsten eines abgemilderten Fachkräftemangels zu reduzieren, käme man damit möglicherweise tatsächlich einen Schritt näher.