Aug 26

Das duale Berufsbildungssystem verhindert brennende Städte. Was läuft in Grossbritannien schief?

Autor: PersonalRadar

Es ist wieder ruhig in den britischen Städten. Das Plündern, das Brandschatzen und die ätzende Gewalt des jugendlichen Mobs sind weg. Für wie lange?

Alle haben wir gebannt auf die Bildschirme geglotzt und uns ob der schieren, nackten Gewalt Jugendlicher in London und anderen Städten ungläubig die Augen gerieben. Ganze Häuserzeilen standen in Brand, Polizisten waren gefährlichen Nahkämpfen ausgesetzt und der lokale Handel wurde durch hemmungslose Einbrüche und das Wegschaffen von hochpreisigen Konsum- und Luxusgütern stark geschädigt. Schnell waren alle mit Lösungen zur Hand. Das harte Eingreifen der Polizei war sicher nötig und richtig. Ob die Blitzurteile des britischen Rechtssystems die Wogen glätten werden? Lassen sich Frustration, Verbitterung und nackte Wut über vermeintliche Ungerechtigkeiten einfach wegsperren? Kaum! Die Probleme des britischen Berufsbildungssystems bleiben. Was hat es mit dieser Gewalt am Hut? Vieles.

Das arbeitsmarktferne Bildungssystem Britanniens hat zu diesen schweren Jugendrevolten beigetragen.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist offiziell über 20%. Wahrscheinlich liegt die Wirklichkeit der Zahlen noch viel höher. Erschreckend höher. Gerade in jenen Stadtvierteln Londons, wo die nackte Gewalt und das Plündern in regelrechten apokalyptischen Orgien ausarteten, ist die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen dermassen hoch, dass das Gefühl der existentiellen Resignation vorherrschend wird und es den Einzelnen einfach nur noch gleichgültig ist, ob sie nun ins Gefängnis gesteckt werden oder den geklauten Plasmabildschirm wirklich zuhause einstecken und geniessen können.

Das Bildungssystem widerspiegelt die Klassengesellschaft der britischen Bevölkerung.

Die Oberschicht nimmt selbstverständlich das in Anspruch, was ihr schon immer angeblich zustand und die Schwachen haben das zu nehmen, was übrigbleibt. Die hohe Quote an Mittelschulabgänger/-innen, die zugegebenermassen eine Tatsache ist, soll keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass im Köngisreich von Fish & Chips doch einiges schlecht riecht. Nach dem A-Level (entspricht ungefähr der Matura oder dem Abitur) geht es an die Uni und die meisten sind für ein paar Jahre versorgt. Was geschieht aber mit jenen, die keinen Mittelschulabschluss schaffen, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllen oder aus bildungsfernen Elternhäuser kommen? Gar nichts? Und das ist die eigentliche Tragödie.

Grossbritannien kennt das duale Berufsbildungssystem nicht.

Die duale Berufsbildung, wie sie zum Beispiel in der Schweiz praktiziert wird, lässt junge Menschen in Betrieben ihrer Berufswahl praktisch, konkret arbeiten und parallel dazu gehen sie in die Berufsschule um Praxis wie auch Theorie ins Gleichgewicht zu bringen. Lebensbildung im Labor der Wirtschaft.

Das praktische Talent und die handliche Intelligenz sind in Grossbritannien ganz klein geschrieben. Sie passen nicht ins elitäre Klassensystem.

Man leistet sich viel akademische Kompetenz, wenn aber das Rohr bricht, der Kamin raucht oder der Wasserhahn tropft, dann kommt viel handwerkliche Inkompetenz zum Vorschein. Kein Wunder. In Grossbritannien kann man auch kein Handwerk von der Pike auf erlernen. Länder mit einem dualen Berufsbildungssystem haben eine sehr niedrige Jugendarbeitslosigkeit wie die folgenden Zahlen klar aufzeigen:

  • Schweiz = 3–4%
  • Deutschland (ohne Gebiete der Ex-DDR) = 6%
  • Niederlanden = 7%
  • Österreich = 8%

Im Vergleich zu den südeuropäischen und angelsächsischen Ländern sind das positive Spitzenwerte. Mit dem dualen Bildungssystem erhalten auch Jugendliche mit Bildungslücken, Lernschwierigkeiten oder bildungsfernen Elternhäusern eine Chance in einer meritokratisch orientierten, strukturierten Bildungsgesellschaft und Wirtschaft Erfolg haben zu können. Diese Erfahrungen geben sie später auch ihren eigenen Kindern weiter. Jugendliche ohne geförderte, aber auch fordernde und unterstützte berufliche Ausbildungschancen kommen schnell auf die schiefe Bahn und holen sich später mit Gewalt, was sie nie mit eigener Leistung erarbeiten und erwerben können. Wer zwischen 15 und 17 Jahren in Grossbritannien mit der Schule aufhört, weil pubertäre Eruptionen oder Schuldmüdigkeit im Wege stehen oder das Verständnis für die scholastische Umgebung einfach nicht mehr vorhanden ist, geht ein hohes Lebensrisiko ein. Kleinkriminalität und der Knast sind meistens die Folgen davon. Zwischenlösungen oder Brückenangebote existieren praktisch keine. Jungen Menschen werden sich selber überlassen und müssen sehen wie sie klar kommen. Labile Persönlichkeiten, die sich oft genug ihr Selbstwertgefühl über eine unangepasste Lebensweise suchen, werden Opfer. Mögliche Talente verschwendet diese Gesellschaft ohne mit der Wimper zu zucken. Sie zuckt aber dann zusammen, wenn sich desillusionierte junge Menschen einfach das holen, was sie sich erträumen und die Möglichkeit von rechtlichen Konsequenzen nonchalant mit Achselzucken quittieren.

Wer mal längere Zeit in einer englischen Stadt gewohnt hat, der wird unschwer festgestellt haben, dass der Mangel an guten Handwerkern evident ist.

Viele dieser ‚Self-Made-Handwerkern’ haben ihre Fähigkeiten so ‚Handgelenk x Pi’ gelernt. Viele verfügen auch nicht über genügend gute Werkzeuge, um nur annähernd den Anforderungen ihres Jobs gerecht zu werden. Viele schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Berufsleben und erweisen der britischen Handwerkerehre keine Referenz, obwohl das handwerkliche Engineering auf dieser Insel mal eine Hochblüte erlebte und britische Ingenieurskunst nach wie vor vom Feinsten ist.

Kein Wunder wehren sich die Briten schon seit langem gegen die Standardisierung von Berufsbezeichnungen, die man in der EU anstrebt.

Deren Handwerkern würden die Anforderungen der angepeilten Bildungsnormen und die Ansprüche an die praktischen Skills nie und nimmer erfüllen. Ein englischer Klempner könnte kaum dem schweizerischen oder dem deutschen Kollegen das Wasser reichen. Nicht einmal den Hilfsarbeitern. Er hatte auch nie die Chance seinen Beruf richtig lernen zu können. Hoffnungslosigkeit der Jugendlichen sollte Gewalt nie rechtfertigen und entschuldigen. Nie. Aber ohne solide Berufsausbildung wird es auch nichts mit der Arbeitsmarktfähigkeit. Die Jugendarbeitslosigkeit ist überall in Europa hoch, wo das duale Berufsbildungssystem nicht existiert und wo Jugendliche das Wort Zukunft nur als Fremdwort kennen. Bildungssysteme, die Jugendlichen nach dem Schulobligatorium eine praktische Zukunft bieten, haben sichtbar grössere Erfolgsaussichten, als jene die sich selber überlassen bleiben und dann im Frust alles kurz und klein schlagen.

Die nächsten Jugendrevolten sind jetzt schon so sicher wie das Amen in der Kirche.

Eine Jugend ohne Perspektiven ist brandgefährlich und hochexplosiv. Das Sparen bei der Ausbildung wird später weitaus mehr kosten als Grossbritannien zu glauben meint. Nicht die Krämerseelen und Polterer sind gefordert, sondern jene die erkennen, das eine gute und solide Berufsausbildung Chancen schafft, glücklich macht und der Wirtschaft hilft.

Bericht gesponsert von: www.jobs-fuer-handwerker.ch