Okt 19

Lassen Sie Ihre Belegschaft altern.

Autor: swissstaffing

Unternehmen können es sich immer weniger leisten, auf das Wissen von älteren Mitarbeitenden zu verzichten. Ihnen flexible Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung zu bieten, hilft, den Erfolg aufrecht zu erhalten (Quelle: Jeffrey Joerres, Verwaltungsratspräsident und CEO von Manpower Inc. Erschienen im «Wall Street Journal Europe» am 9.4.2009. Aus dem Englischen übersetzt von Myra Fischer-Rosinger, swissstaffing)

Es ist zu früh, um sagen zu können, wie sich die derzeitige, weltweite Rezession auf eine der grössten Herausforderungen auswirken wird, der die Firmenchefs im nächsten Jahrzehnt zu begegnen haben: die kommende Explosion der Anzahl Arbeitnehmender im Pensionierungsalter und der ungenügende Pool an jüngeren Arbeitskräften, die deren Funktionen übernehmen können. Unternehmen, die noch nicht begonnen haben, Pläne für diese Umwälzung zu schmieden, haben Aufholbedarf. Der Produktivitäts- und Know-how-Verlust, den die Pensionierung der Baby-Boomer- Generation verursacht, könnte gewisse Betriebe vernichten.

Die europäische Erwerbsbevölkerung wird in den kommenden Jahren zu schrumpfen beginnen und soll sich gemäss OECD innerhalb von fünf Jahrzehnten um 15 Prozent verkleinern. Die Länder, die der grössten Gefährdung ausgesetzt sind, sind diejenigen mit der ältesten Bevölkerung, insbesondere Deutschland und Italien. Dennoch scheinen die meisten Unternehmen auf diese Entwicklung kläglich unvorbereitet zu sein.

Eine Manpower-Umfrage aus dem Jahr 2007 bei mehr als 28 000 Arbeitgebern in 25 Ländern hat gezeigt, dass nur 14 Prozent Strategien implementiert haben, um ältere Arbeitnehmende zu rekrutieren. Und nur 21 Prozent verfolgen Strategien, um diese Arbeitskräfte an Bord zu behalten. Noch besorgniserregender ist, dass die Arbeitgeber anstehende Pensionierungen noch immer als kostensenkende Gelegenheiten ansehen. Eine solche Perspektive ist gefährlich und kurzsichtig. Die Arbeitgeber werden ihre Denkweise ändern und in der kurzen Frist Schritte unternehmen müssen, um den Exodus älterer Arbeitskräfte zu bremsen, deren Kompetenzen und Wissen äusserst wertvoll sind. Der Knackpunkt ist, dass diejenigen Arbeitskräfte mit den Kompetenzen, die die Firmen am dringendsten bewahren müssen, genau die sind, die die grösste finanzielle Flexibilität haben, um in den Ruhestand zu gehen.

Wenige Alternativen für Ältere, die ihr Arbeitsverhältnis ändern wollen

Ein Teil des Problems ist, dass die Arbeitgeber davon ausgehen, dass alle Angestellten aus der Erwerbstätigkeit austreten wollen, sobald sie finanziell dazu in der Lage sind. Indes könnte, gerade beim gegebenen wirtschaftlichen Klima, eine wachsende Zahl von Erwerbstätigen weitere Jahre arbeiten wollen. Selbst in Ländern mit staatlich finanzierten Renten – die üblicherweise frühe Pensionierungen begünstigt haben – könnten Rentner in Zukunft mit ihrer finanziellen Situation ringen. Viele Regierungen rechnen mit Fehlbeträgen in der Rentenfinanzierung, weil zu wenige junge Erwerbstätige mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen für das Rentenaufkommen bezahlen.

Der beste Weg, den Weggang älterer Angestellter einzudämmen, ist, Beschäftigungsformen anzubieten, nach denen diese Angestellten suchen, und ihr Engagement zu erhalten, indem man ihre Bedeutung für das Team hervorhebt. Einer der grössten Fehler, den Firmen machen, ist, 50-jährige und ältere Angestellte vor den Kopf zu stossen, wenn sie glauben, diese seien nicht mehr an Weiterbildung und Laufbahnentwicklung interessiert. Firmenchefs und andere höhere Führungskräfte sind in der Regel um die 50 oder 60 Jahre alt. Trotzdem wird häufig angenommen, dass mittlere Führungskräfte desselben Alters nicht mehr an herausfordernder Arbeit und Weiterentwicklung interessiert seien. Wenn ein ehemaliger Firmenchef mit 70 Jahren geeignet ist, im Verwaltungsrat einer der 500 grössten US-Unternehmungen zu dienen, warum soll dann ein Manager mit vergleichbaren Kompetenzen und Erfahrungen nicht genauso fähig sein, im gleichen Alter in einer anderen Funktion zu arbeiten?

Die Arbeitgeber sollten nicht davon ausgehen, dass sich Arbeitnehmende im Pensionierungsalter nur für Funktionen mit wenig Verantwortung qualifizieren und interessieren, wie zum Beispiel als Freiwillige im Spital oder als Empfangsdame oder -herr in einem Geschäft. Entscheidend für die Bindung von älteren Mitarbeitenden ist, zu erkennen, dass sich ihre Prioritäten verändern, und Aufgaben zu finden, die sowohl ihnen als auch dem Unternehmen dienen.

Heutzutage sind zu wenig Alternativen für Menschen vorhanden, die bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber bleiben möchten, aber in einem veränderten Arbeitsverhältnis, da sie auf ihre Pensionierung zugehen. Das ist ein Hauptgrund, weshalb Arbeitgeber ältere Mitarbeitende an die Selbständigkeit verlieren. Bis anhin war die typische Antwort der Unternehmung, dem Angestellten mehr Lohn zu bieten, damit er bleibt und dieselbe Vollzeitarbeit für eine längere Zeit ausübt, während er möglicherweise lieber in einem Teilzeitarbeitsverhältnis arbeiten würde. Ein Arbeitgeber, der sowohl älteren als auch jüngeren Angestellten flexible Arbeitsformen anbietet, könnte einen deutlichen Wettbewerbsvorteil bei der Rekrutierung und bei der Mitarbeiterbindung erzielen.

Weil die Talentknappheit wächst, verlagert sich das Kräfteverhältnis in der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung zusehends in Richtung Arbeitnehmende. Letztere bleiben möglicherweise eher bei ihren Arbeitgebern, wenn sie ihre Work-Life Balance verbessern können, zum Beispiel wenn sie die Flexibilität haben, an einer Schüleraufführung ihres Grosskindes teilzunehmen oder einen kranken Ehepartner zu pflegen.

Gleichzeitig müssen die Arbeitgeber Nachfolger darauf vorbereiten, entscheidende Aufgaben zu übernehmen und so viel wie möglich zu lernen, bevor die Experten den Arbeitsplatz verlassen. Lange bevor ältere Schlüsselmitarbeitende gehen, sollten die Unternehmen Pläne für die Ablösung und den Wissenstransfer entwickeln, um sicher zu stellen, dass sie möglichst viel geistiges Kapital erhalten können. Dies muss die Identifizierung jener Funktionen beinhalten, bei denen das Brain Drain-Risiko am grössten ist, sowie die Ermittlung vielversprechender Nachfolgekandidaten und die Abstimmung von deren Laufbahnplanung mit dem Weggang der Ruheständler. Einen Plan zu entwickeln, um entscheidende Informationen, Prozesse und Kontakte zu bewahren, ist lebenswichtig. Dies kann in Form von Mentorenprogrammen oder mittels Aufbau von Firmennetzwerken gemacht werden, in denen sich die Mitarbeitenden persönlich oder online treffen und Informationen austauschen. Eine andere Möglichkeit ist, einen Pool von pensionierten Mitarbeitenden aufzubauen, die bedarfsweise in spezifischen Projekten arbeiten und damit der Unternehmung ermöglichen, gemeinsame Erfahrungen anzuzapfen und ihr Wissen länger einzubinden.

Kein Platz mehr für die Verschwendung von Talenten

In der längeren Frist werden die Arbeitgeber das Talent jedes Angestellten über seine Karriere hinweg besser nutzen müssen. Unternehmen könnten dies tun, indem sie regelmässige Kompetenz- und Karriere-Assessments sowie Kurse anbieten und indem sie die Interessen und Fähigkeiten der Mitarbeiter einerseits und die Bedürfnisse der Unternehmung andererseits aufeinander abstimmen, sodass die Mitarbeitenden nützlich und engagiert bleiben. In den straff organisierten und Talentknappheit ausgesetzten Unternehmen der Zukunft wird es keinen Platz für Talentverschwendung geben. Dieser neue Ansatz des Talent-Managements wird sich auf die Art und Weise auswirken, wie sich die Menschen auf die Pensionierung vorbereiten. Die zweite Hälfte des Lebens muss genauso sorgfältig geplant werden wie die erste Hälfte, insbesondere in Anbetracht der Entwicklung der Lebenserwartung und gewisser staatlicher Rentenversicherungen.

Um für Mitarbeitende im Pensionierungsalter interessant zu bleiben, könnten Arbeitgeber Planungshilfen für den Übergang in die nächste Lebensphase anbieten. Solche Programme könnten eine Menge an verschiedenen Work- Life-Balance-Alternativen umfassen und verschiedene finanzielle Auswirkungen haben je nach individueller Wahl und persönlicher Situation.

Auch staatliche Regierungen müssen ihre Aufmerksamkeit eindeutig diesen Themen widmen, wenn sie einen wettbewerbsfähigen Arbeitsmarkt haben wollen, der die Volkswirtschaft in Zukunft stärkt. Gewisse Regierungen sind bereits dabei, Initiativen und Anreize für Unternehmen zu entwickeln, damit diese ältere Arbeitnehmende einstellen, was im Gegenzug den Wohlstand und die Beschäftigungssicherheit dieser Personen begünstigt.

Die Herausforderung für die Regierungen ist, die Interessen und Fähigkeiten reifer Erwachsener mit den Interessen und Erfordernissen der Arbeitgeber abzustimmen – und dies zu tun, bevor die Rentenblase platzt und verheerenden Schaden in anderen Bereichen der Gesellschaft anrichtet. Nachhaltige und wachsende Volkswirtschaften wird es in Zukunft nicht ohne starke und dynamische Arbeitsmärkte geben, einschliesslich jener Arbeitnehmenden, die in der Vergangenheit zum Wachstum beigetragen haben.