Mai 14

Das Smartphone frisst uns auf.

Author: PersonalRadar

Das Smartphone weit mehr als nur ein technisches Hilfsmittel. Es ist ein Symbol. Ein Symbol für Flexibilität, für globale Vernetzung, für digitale Selbstermächtigung – und zugleich ein Instrument permanenter Unterbrechung, Ablenkung und Kontrolle.

(Bildquelle: ChatGPT)

Was auf den ersten Blick wie ein kleiner Alltagshelfer erscheint, hat längst unser Denken, unser Arbeiten und unser soziales Verhalten tiefgreifend verändert. Das Gerät in der Hosentasche oder auf dem Schreibtisch zieht unsere Aufmerksamkeit magnetisch an. Die Konsequenz: Wir verlieren die Fähigkeit zur ungeteilten Konzentration – und merken es kaum noch.

Die Mechanismen hinter dieser Veränderung sind komplex und präzise orchestriert. Digitale Plattformen und Apps sind so programmiert, dass sie unser Dopaminsystem gezielt stimulieren. Jedes Aufblinken des Bildschirms, jede neue Nachricht, jede rote Benachrichtigung aktiviert unser Belohnungszentrum. Dieser neurologische Effekt führt zu einem Verhalten, das man schlicht als ‘digitale Selbstunterwerfung’ bezeichnen kann.

Wir greifen reflexartig zum Gerät, auch ohne konkreten Anlass.

Was bedeutet das für unsere Arbeit? Für unser Selbstverständnis als Arbeitnehmende? Für unsere Unabhängigkeit und die viel gepriesene Selbstverantwortung? Diese Fragen verdienen in der Zwischenzeit eine breitere Diskussion, die sich jenseits der reinen Effizienzlogik bewegt. Denn die ständige Ablenkung hat nicht nur Auswirkungen auf die Produktivität, sondern auch auf unsere psychische Verfasstheit. Studien zeigen, dass die Nutzung des Smartphones während anspruchsvoller Arbeitsphasen die Fehlerhäufigkeit stark erhöht, die Informationsverarbeitung massiv stört und die Fähigkeit zur Priorisierung ad absurdum führt.

Hinzu kommt ein Wandel im Umgang mit dem Rohstoff Zeit und der nötigen Präsenz: Wo früher zwischen Arbeits- und Freizeit unterschieden wurde, herrscht heute ein Zustand der immerwährenden Verfügbarkeit. Mitarbeitende sind nicht nur in Meetings ansprechbar, sondern auch auf dem Weg zur Arbeit, abends zu Hause, in den Ferien oder sogar auf der Toilette. Das Smartphone hat so nicht nur den Ort der Arbeit entgrenzt, sondern auch ihre Zeitstruktur aufgelöst. Dieser Zustand führt zu einer schleichenden, subtilen und stetigen Erosion von Arbeitsruhe, Erholungspausen und Privatsphäre.

Psychologisch wirkt sich das in Form von dauerhafter innerer Unruhe aus. Der sogenannte ‘Phantom-Vibrationseffekt’, das Gefühl, das Handy habe vibriert, obwohl es das gar nicht hat, ist längst kein Randphänomen mehr. Es verweist auf eine tiefgreifende Abhängigkeit, die unsere Selbstwahrnehmung beeinflusst. Gleichzeitig verstärkt die omnipräsente, überbordende Smartphone-Nutzung eine Kultur des obsessiven Multitaskings, obwohl längst wissenschaftlich erwiesen ist, dass der Mensch keine zwei anspruchsvollen Aufgaben gleichzeitig bewältigen kann, ohne an Qualität zu verlieren.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Integrität der Kommunikation. Gespräche im Büro, im Team oder mit Vorgesetzten werden immer häufiger durch kurze Blicke aufs Handy unterbrochen – was nicht nur unhöflich, sondern beziehungsstörend ist. Ungeteilte Aufmerksamkeit ist ein soziales Gut, und ihr Entzug signalisiert Achtlosigkeit und eine schnell voranschreitende Verluderung des Miteinanders. Eine Arbeitskultur, die dies toleriert oder gar fördert, riskiert langfristig den Zerfall zwischenmenschlicher Verbindlichkeit.

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Der mediale Dauerbeschuss von Informationen, Filmchen und Bilder durch das Smartphone macht uns nicht nur weniger aufmerksam, sondern auch weniger einfühlsam. Wer permanent von externen Reizen bespielt wird, verliert den Zugang zur inneren Reflexion. Das digitale Bombardement erschwert die Konzentration und lässt uns Fehler machen.

Die Frage ist deshalb nicht mehr, ob das Smartphone unsere Arbeitsweise verändert – sondern wie bewusst wir diese Veränderung gestalten wollen. Es geht um nicht weniger als die imperative Rückgewinnung geistiger Souveränität im digitalen Orkus. Nur wenn wir den Mechanismus verstehen, können wir ihm auch etwas entgegensetzen, sei es durch neue Regeln, technische Schranken oder eine veränderte Haltung im Umgang mit digitaler Präsenz. Die Kontrolle über unsere Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, ist keine technische Aufgabe. Es ist eine kulturelle und politische Herausforderung.

Konzentration ist kein Zustand mehr – sie ist ein Kampf

Die Zeit für Aufmerksamkeit ist zu einer der wertvollsten Ressourcen geworden. Plattformen wie Facebook, LinkedIn, Instagram, TikTok, WhatsApp oder Telegram konkurrieren nicht nur um unsere Klicks, sondern um unsere Lebenszeit – oft mit sehr viel Erfolg. Der französische Philosoph Byung-Chul Han spricht von der ‘Ermüdung durch permanente Erregung’. Unser Geist springt im Sekundentakt von einem Reiz zum nächsten, was sich direkt wie auch brutal auf unsere Arbeit auswirkt.

Wer je versucht hat, in einer stillen Stunde tief in eine komplexe Aufgabe einzutauchen, weiss ganz genau, dass Konzentration nicht sofort entsteht. Sie muss aufgebaut werden. Sie verlangt Vorbereitung, ein inneres Loslassen von Ablenkungen, eine gewisse Kontinuität. Das ständige, fast schon süchtig wirkende Checken des Handys verhindert genau diesen Zustand. In der Folge entsteht eine fragmentierte Arbeitsweise, die zwar beschäftigt aussieht, aber selten produktiv ist. Die Kunst der gedanklichen Tiefenarbeit, eine unabdingbare Grundlage anspruchsvoller Tätigkeiten, droht immer mehr verloren zu gehen.

Der US-amerikanische Informatiker und Autor Cal Newport hat diesen Zustand treffend als ‘Deep Work vs. Shallow Work’ beschrieben. Während ‘Deep Work’ echte kognitive Anstrengung und kreative Leistung ermöglicht, ist ‘Shallow Work’ oberflächlich, reaktiv und leicht reproduzierbar. Die permanente Unterbrechung durch digitale Reize lässt uns kaum mehr in jenen Modus tiefer Konzentration eintreten, der nötig wäre, um Neues zu schaffen, Probleme zu lösen oder übergreifende Zusammenhänge zu erkennen.

Auch neurobiologisch ist dieser Zustand hoch problematisch. Das Gehirn braucht viele Minuten, um nach einer Unterbrechung wieder in einen vertieften Konzentrationszustand zurückzufinden. Wenn also alle zehn Minuten das Smartphone klingelt oder aufleuchtet, kann keine echte Denktiefe mehr entstehen. Unsere Aufmerksamkeit wird in kleine, sprunghafte Segmente zerhackt, mit fatalen Folgen für unser Gedächtnis, unser Urteilsvermögen und unser Selbstbewusstsein.

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Hinzu kommt, dass viele Arbeitnehmende gar nicht mehr richtig merken, wie sehr sie aus ihrer inneren Balance geraten sind. Die dauerhafte Erreichbarkeit wird zur selbstverständlichen Gewohnheit, die innere Unruhe zum üblen Grundzustand. Konzentrationsschwäche, Gedankensprünge, ein Gefühl permanenter Überforderung, all das wird nicht mehr als Symptom einer gestörten Arbeitsweise erkannt, sondern im schlimmsten Fall als persönliches Defizit empfunden. Die Folge: Selbstzweifel, Schuldgefühle, Überkompensation und die totale Überforderung es immer allen recht machen zu müssen.

Dabei ist nicht der einzelne Mensch das eigentliche Problem per se, sondern ein rücksichtloses Arbeitsumfeld, das den Fokus auf eine Sache nicht schützt und nicht schätzt. Unternehmen, die keine klaren Regeln für ungestörte Arbeitsphasen etablieren, gefährden die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden langfristig. Wer von morgens bis abends permanent in Chats, Mail-Loops und Projektplattformen festhängt, mag vielleicht als ‘Kommunikationsmonster’ durchgehen, doch die eigentliche echte Wertschöpfung bleibt schonungslos auf der Strecke. Sie geht sang- und klanglos unter.

Der Verlust an Konzentration ist nicht nur ein individuelles, sondern ebenso ein kollektives Problem. Wenn in einem Team niemand mehr konzentriert arbeiten kann, weil alle ständig ‘verfügbar’ sein müssen, sinkt nicht nur die Qualität der Resultate, sondern auch das Vertrauen in die gemeinsame Leistungsfähigkeit. Echter Fokus wird zur Ausnahmeerscheinung.

Auch die betriebswirtschaftlichen Implikationen sind nicht zu unterschätzen: Ein grössere Anzahl von Studien belegen schon lange, dass durch digitale Unterbrechungen in Unternehmen jährlich Milliarden an Produktivität verloren gehen. Gleichzeitig steigt der psychische Druck. Die sogenannte ‘Präsenz ohne Präsenz’ – also physisch anwesend, aber geistig total abgelenkt – wird zur erschreckenden Normalität. Sie unterminiert nicht nur die eigentliche Leistung, sondern auch die Integrität professionellen Verhaltens. Die Idiotie nimmt im Quadrat zu.

Es braucht eine neue Kultur des Arbeitens: Eine, die den Fokus nicht als individuelle Ausnahmeleistung feiert, sondern als kollektiven Standard etabliert. Das beginnt bei architektonischen Massnahmen wie Ruhezonen oder Fokuszeiten, geht über die bewusste Reduktion von ‘Notifications’ bis hin zur Einführung verbindlicher digitaler Hygiene-Regeln. Wer konzentriert arbeiten kann, erlebt die Arbeit erfüllender und sinnstiftender.

Zwischen Freiheit und Missbrauch

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Viele Unternehmen in der Schweiz erlauben ihren Mitarbeitenden, ihre privaten Smartphones während der Arbeit mit sich zu führen – ein Zeichen des Vertrauens, heisst es oft. Doch wie tragfähig ist dieses Vertrauen, wenn gleichzeitig über sinkende Produktivität, chronische Überforderung und stille Kündigungen (‘quiet quitting’) geklagt wird?

Ein freiheitlicher Führungsstil, der auf Selbstverantwortung setzt, funktioniert nur dann, wenn die Mitarbeitenden gelernt haben, mit DIESER Freiheit umzugehen. Doch meistens ist die Realität ernüchternd: In der Mehrheit der Fälle führt diese Freiheit nicht zu grösserem Engagement, sondern zu einer stillen Erosion von Arbeitsdisziplin. Der hochgelobt und zuweilen total überschätzte Mythos der ‘Work-Life-Balance“ via Smartphone-Nutzung am Arbeitsplatz wirkt dann wie ein schlechter Witz: Während der Körper physisch anwesend ist, schweifen Geist und Emotionen ins Digitale ab.

Dieser Widerspruch zwischen organisationalem Ideal und individueller Praxis hat System. Der eigentliche freiheitliche Führungsstil basiert auf einem Menschenbild, das die Mitarbeitenden als von innen her (intrinsisch) motiviert, verantwortungsbewusst und diszipliniert begreift. Doch dieses hehre Menschenbild wird zunehmend durch die digitale Realität konterkariert und in Frage gestellt. Die ständige Ablenkung durch das Smartphone wirkt wie ein Störsender. Das Problem ist nicht die Freiheit selbst, sondern das Fehlen von Regeln. Die Freiheit ohne klare Struktur verkümmert zur Beliebigkeit. Wenn jede und jeder einfach individuell entscheidet, wann und wie er oder sie sich aus der Zusammenarbeit ausklinkt, entsteht ein Zustand der Unverbindlichkeit, der Kooperation systematisch erschwert und bisweilen unmöglich macht.

Hinzu kommt: Führungskräfte, die diesen Zustand einfach tolerieren oder gar unkritisch fördern, verlieren schleichend Autorität. Wer keine Haltung zur Smartphone-Nutzung entwickelt, signalisiert Gleichgültigkeit gegenüber der Qualität der Arbeit. Und diese Gleichgültigkeit wird auf Mitarbeitende übertragen, die sich dann ebenfalls nicht mehr zuständig fühlen – weder für ihre eigene Konzentration noch für die kollektive Leistung.

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Dabei wäre ein reflektierter Umgang mit Freiheit möglich – und notwendig. Selbstverantwortung ist nicht einfach da, sie muss gelernt, gefördert und betrieblich gestützt werden. Dazu gehört auch die bewusste Auseinandersetzung mit der Frage, wie viel digitale Ablenkung sich ein Team leisten kann, ohne seine Leistung zu mindern. Es braucht Regeln, nicht im Sinne von Misstrauen, sondern als Ausdruck einer gemeinsamen Zielorientierung.

Ein besonders problematischer Aspekt dieser falsch verstandenen Freiheit ist die soziale Asymmetrie, die sie erzeugt. Während einige diszipliniert arbeiten, erlauben sich andere, stundenlang durch private Feeds zu scrollen – meist ohne Konsequenz. Das untergräbt den sozialen Kitt im Team. Fairness ist ein zentrales Motiv in der Arbeitswelt. Wo sie verletzt wird, entsteht Unmut, Frust und später die Kündigung.

Führung bedeutet deshalb nicht, alle machen zu lassen, was sie es gerade wollen. Führung bedeutet, Orientierung zu geben – auch in Fragen der Smartphone-Nutzung. Wer Freiheit ermöglichen will, muss zuerst Bedingungen schaffen, unter denen sie verantwortungsvoll ausgeübt werden kann. Dazu gehört das Gespräch, das ausdrückliche Vorleben von Fokus durch Vorgesetzte und die unmissverständliche Bereitschaft, klare Grenzen zu ziehen.

Kontrollverlust durch Kontrollmassnahmen?

Ein Handyverbot am Arbeitsplatz erscheint vielen auf den ersten Blick als Anachronismus. In einer Zeit, in der Flexibilität, Agilität und Eigenverantwortung als Leitwerte der neuen Arbeitswelt gelten, wirkt ein derartiger Eingriff in die persönliche Freiheit wie ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert. Doch genau dieser scheinbare Widerspruch macht die Diskussion so brisant. Denn in Wahrheit stellt sich nicht die Frage, ob Kontrolle schlecht ist – sondern wem sie wirklich dient.

Der österreichische Fahnenhersteller, Fahnen Gärtner in Mittersill (Pinzgau), der seine Mitarbeitenden seit über 15 Jahren verpflichtet, das Smartphone im Spind zu lassen, ist kein Überwachungsbetrieb. Im Gegenteil: Die Regel wurde von der Belegschaft mitgetragen und immer wieder bestätigt. Der Nutzen ist offensichtlich: weniger Ablenkung, bessere Zusammenarbeit, klarere Grenzen. Was nach Verbot klingt, erweist sich als willkommene Befreiung von der ständigen Verfügbarkeit.

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In einer hypervernetzten Welt können gezielte Einschränkungen Freiräume schaffen. Ein Verbot kann Klarheit stiften, Verantwortlichkeiten definieren, soziale Prozesse schützen. Gerade in handwerklichen oder sicherheitsrelevanten Berufen ist die Ablenkung durch Smartphones nicht nur störend, sondern potenziell gefährlich. Doch auch in der Wissensarbeit – wo das tiefe Denken selbst zur Ressource wird – ist ungeteilte Aufmerksamkeit ein Muss.

Der tieferliegende Konflikt bildet sich in der Natur des Menschen ab: Die Idee, dass sich diese selbst regulieren können, steht zunehmend im Widerspruch zur digitalen Infrastruktur, die systematisch darauf ausgelegt ist, Aufmerksamkeit zu binden und menschliches Verhalten zu steuern. In diesem Spannungsfeld kann ein Handyverbot durchaus als strukturelles Korrektiv wirken, nicht um zu bestrafen, sondern um zu schützen. Regeln schaffen Sicherheit. Mitarbeitende wissen, woran sie sind. Sie müssen nicht immerfort abwägen, ob das kurze Prüfen des Handys noch okay ist oder nicht.

Auch die Führung gewinnt durch solche Regeln an Profil. Statt auf Appelle an die Eigenverantwortung zu setzen, die ohnehin fast immer ins Leere laufen, schafft sie ein Umfeld, in dem Konzentration nicht eingefordert, sondern endlich ermöglicht wird. Das verändert auch die Kultur der Zusammenarbeit: Wer sich auf seine Kolleg:innen verlassen kann, weil alle präsent sind, arbeitet anders. Wirksamer. Wirtschaftlicher. Besser.

Natürlich sind pauschale Verbote nicht der Weisheit letzter Schluss. Jedes Team, jede Branche, jede Aufgabe hat ihre Eigenheiten. Doch ein grundsätzliches Nachdenken über digitale Verfügbarkeit, auch mit der Möglichkeit des Verbots, ist heute nötiger denn je. Dabei geht es nicht um schnöde technikfeindliche Nostalgie. Es geht um bewusste Rahmenbedingungen. Um die Einsicht, dass echte Freiheit nicht darin besteht, jederzeit alles tun zu dürfen, sondern darin, sich nicht von allem hemmungslos vereinnahmen zu lassen. Wer sich für ein Handyverbot entscheidet, trifft also keine restriktive, sondern eine strategische Entscheidung: Für mehr Präsenz, mehr Qualität, mehr Gesundheit.

Arbeitszeit als Eigentum. Wem gehört eigentlich die Aufmerksamkeit?

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Jede Anstellung basiert auf einem impliziten Vertrag: Der Arbeitgebende zahlt für eine bestimmte Zeitspanne die Arbeitskraft der Angestellten. Im Gegenzug schulden diese Aufmerksamkeit, Leistung und Präsenz. Wer während der Arbeitszeit ausgiebig das private Smartphone für private Dingen nutzt, verletzt diesen Grundsatz. Doch das Bewusstsein dafür ist vielerorts nicht mehr vorhanden.

Ein Grund dafür ist die Entgrenzung der Arbeit: Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und mobile Tools haben die Vorstellung von Arbeitszeit immens relativiert. Doch auch wenn der Schreibtisch heute am Küchentisch stehen mag, die Pflicht zur Fokussierung bleibt bestehen. Wer sich während der Arbeitszeit einfach aus der Verantwortung stiehlt, schwächt nicht nur seine eigene Performance, sondern auch die Leistung des Teams.

Arbeitszeit ist nicht einfach verfügbarer Raum. Sie ist eine rechtlich geschützte Ressource. Das Schweizer Arbeitsrecht erlaubt dem Arbeitgeber explizit, die private Nutzung von Kommunikationsmitteln während der Arbeitszeit einzuschränken oder zu verbieten. Wer dagegen verstösst, riskiert Sanktionen, bis hin zur fristlosen Kündigung bei schwerem Verstoss. Es geht also nicht nur um Moral, sondern um Arbeitsrecht.

Doch diese Regelungen entfalten nur Wirkung, wenn sie bekannt und konsequent durchgesetzt werden. Viele Betriebe scheuen die Konfrontation, aus Angst vor Konflikten, Reputationsverlust oder weil sie selbst keine klare Linie verfolgen. Das Resultat ist ein diffuser Raum von Grauzonen, in der nonchalante Unverbindlichkeit zum Normalzustand wird. Wer aber nicht weiss, was gilt, kann auch nichts verletzen. Und genau das gefährdet langfristig die Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit. Ungeteilte Aufmerksamkeit ist eine Form von Kapital, nicht materiell, aber von enormer strategischer Bedeutung. Sie entscheidet darüber, ob Probleme frühzeitig erkannt, Chancen genutzt, Fehler vermieden werden. Wenn Mitarbeitende ihre Aufmerksamkeit ständig zwischen beruflichen Aufgaben und privaten Ablenkungen zersplittern, verliert das Unternehmen ganz einfach an Schlagkraft.

Zudem hat die permanente Erreichbarkeit über private Geräte einen paradoxen Effekt: Sie untergräbt immer mehr das Gefühl für das Arbeitsende nach einen anstrengenden Tag. Wenn Arbeitszeit und Freizeit ineinander übergehen, sinkt die Fähigkeit zur Regeneration. Es entsteht ein Dauerzustand der Anspannung, selbst dann, wenn objektiv wenig geleistet wurde. Die Folge: Ständige Erschöpfung ohne Ergebnis.

Gleichzeitig stellen sich weitere Fragen: Darf ich während der bezahlten Arbeitszeit meine privaten Belange pflegen, nur weil mein Vorgesetzter nicht hinschaut? Ist es legitim, dem Arbeitgebenden bezahlte Aufmerksamkeit vorzuenthalten, obwohl dieser sich strikt an den Vertrag hält? Solche Fragen müssen nicht zwingend moralinsauer diskutiert werden, aber sie verdienen einen Platz im Dialog über das korrekte berufliche Verhalten.

Die Vorstellung, dass nämlich Arbeit immer auch ein gewisses Mass an sozialer Verantwortung bedeutet, ist in der digitalisierten Welt schon lange ins Hintertreffen geraten. Dabei lebt jedes Team, jedes Unternehmen, jede Institution von gegenseitiger Verlässlichkeit. Wer schnell in den Pausenraum geht, um kurz Mails zu checken, kein Problem. Wer aber alle zehn Minuten sein Smartphone zückt, ohne Notwendigkeit und ohne Bewusstsein für die Wirkung auf andere, trägt zur allgemeinen Erosion gemeinsamer Arbeitsstandards bei.

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Der Verlust von Fokus auf das Wesentliche ist kein individuelles Problem mehr. Es ist eine allgemeine arbeitsethische Herausforderung. Wenn niemand mehr wirklich weiss, wann gearbeitet und wann ‘nebenbei’ kommuniziert wird, verlieren auch Leistungskriterien ihre Gültigkeit. Effizienz wird zur Illusion, Präsenz zur Fassade, Leistung zur Vermutung. In einem solchen Umfeld wird Vertrauen zu einer superweichen Währung, die am schnellsten entwertet. Ist das Vertrauen erst weg, kommt es auch nicht mehr schon schnell zurück.

Die Diktatur der digitalen Reaktion

Es ist ein Missverständnis unserer Zeit, dass die ständige Erreichbarkeit ein Zeichen von Engagement sei. In Wahrheit ist sie oft ein Zeichen mangelnder Abgrenzung oder subtiler Sozialkontrolle. Wer sofort auf Mails antwortet, auf jede Nachricht reagiert und immer ‘on’ ist, vermittelt Verfügbarkeit, aber nicht unbedingt Verbindlichkeit. Man macht sich zum Sklaven der eigenen Erreichbarkeit. Die Folge: Dauerstress, Schlafprobleme und das Gefühl nie richtig abzuschalten. Dabei ist das Phänomen der ‘ständigen Erreichbarkeit’ nicht nur eine technische Entwicklung, sondern ein sozialer Mechanismus. Es existieren unausgesprochene Normen, implizite Erwartungen und subtile Sanktionen:

  • Wer zu spät antwortet, gilt als weniger engagiert
  • Wer das Handy abends abschaltet, riskiert Anschlussverlust
  • Wer das Wochenende schützt, wird misstrauisch beäugt

Diese Kultur der nervenden Reaktionsbereitschaft hat sich tief in die Arbeitswelt eingeschrieben. Übrigens auch in Unternehmen, die sich offiziell zur ‘Work-Life-Balance’ bekennen.

Die Schäden für die Betroffenen sind erheblich. Die ständige Alarmbereitschaft versetzt das Nervensystem in einen Modus latenter Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Die Stresshormone Adrenalin und Cortisol bleiben auf erhöhtem Niveau, selbst in Pausen. Die Folge: eine chronische Reizüberflutung, die zu emotionaler Erschöpfung, Konzentrationsverlust und im schlimmsten Fall zu Burnout führen kann. Dabei ist die Ursache oft nicht in der Arbeitsmenge, sondern in der Arbeitsweise zu finden – genauer: in der fehlenden aktiven Begrenzung digitaler Reize.

Hinzu kommt ein weiteres Paradox: Die elektronischen Werkzeuge, die eigentlich Effizienz ermöglichen sollen, führen in der Summe aufs Stumpengleis. Ein Meeting via Teams, gefolgt von drei E-Mails, zwei Chatnachrichten und einem Anruf, all das selbstverständlich superoptimiert in 30 Minuten, schafft selten Orientierung, sondern Fragmentierung. Mitarbeitende sind nicht überlastet im klassischen Sinn, sondern total überreizt und genervt. Sie sind viel weniger erschöpft vom Tun als vom eigentlichen Reagieren.

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Ein bewusster Umgang mit Erreichbarkeit beginnt daher mit klaren Absprachen: zu Antwortzeiten, Verfügbarkeitsfenstern, Kommunikationswegen. Studien zeigen, dass Teams, die definierte Kommunikationszeiten einführen, zum Beispiel keine Mails nach 18 Uhr oder keine Chat-Nachrichten am Wochenende, nicht nur gesünder arbeiten, sondern auch produktiver. Denn sie reduzieren Reibungsverluste und stärken den Fokus auf das Wesentliche.

Der technische Fortschritt ist wunderbar, entbindet uns jedoch nicht von der Verantwortung, ihn zu bändigen. Im Gegenteil: Je mächtiger die Tools, desto grösser die Notwendigkeit, ihnen klare Vorgaben zu machen. Das betrifft nicht nur Mitarbeitende, sondern vor allem Organisationen. Es ist die wichtige Aufgabe der Unternehmensführung, digitale Disziplin vorzuleben, Erreichbarkeitsgewohnheiten zu hinterfragen und Räume für fokussiertes Arbeiten aktiv zu schützen.

Denn echte Professionalität zeigt sich nicht in der Geschwindigkeit der Reaktion, sondern in der Qualität des Beitrags. Wer schnell antwortet, aber wenig sagt, mag prima vista effizient wirken, bleibt aber inhaltlich meistens belanglos. Wer sich jedoch richtig Zeit nimmt, sorgfältig durchdenkt, strukturiert und dann Prioritäten setzt, trägt zum langfristigen Erfolg bei. Eine gesunde Arbeitskultur muss den Unterschied spür- und sichtbar machen.

Schlusswort: Drei praktische Ratschläge für morgen

  1. Weniger ist mehr: Kommunikation ist kein Selbstzweck. Reduzieren Sie digitale Kanäle, strukturieren Sie sie klar – und schaffen Sie bewusst digitale Pausenräume.
  2. Fokus braucht Führung: Leben Sie als Führungskraft vor, was Sie erwarten: klare Erreichbarkeitsfenster, bewusste Unterbrechungsfreiheit, ehrlicher Umgang mit Aufmerksamkeit.
  3. Arbeitskultur schlägt Tool: Kein digitales Tool ersetzt die Klarheit gemeinsamer Regeln. Setzen Sie auf einfache Vereinbarungen im Team: ‘Kein Handy im Meeting’ kann mehr bewirken als jede App zur Produktivitätssteigerung.

Die stille Unterwerfung unter das Smartphone ist kein Schicksal – sie ist eine Entscheidung.