Sommerliche Temperaturen, eiskalte Rechtslage – Hitzefrei ist kein Recht.
Die Schweiz erlebt immer häufiger Hitzewellen, die nicht nur Freizeitpläne durcheinanderbringen, sondern auch die Belastbarkeit am Arbeitsplatz auf die Probe stellen.
Wenn Thermometer in Innenstädten 35 Grad anzeigen und in Büros oder Werkhallen kaum Luftzirkulation herrscht, ist die Frage berechtigt: Ist das noch zumutbar? Während Kinder auf dem Schulhof auf ‘Hitzefrei’ hoffen dürfen, bleibt arbeitstätigen Erwachsenen dieser Luxus verwehrt. Die arbeitsrechtliche Realität in der Schweiz ist eindeutig: Ein Anspruch auf Hitzefrei existiert nicht. Aber daraus zu schliessen, dass Arbeitgebende keinerlei Verpflichtungen treffen, wäre falsch.
Nachfolgend wird dargelegt, welche Rechte und Pflichten Arbeitgebende und Arbeitnehmende in Hitzeperioden haben, welche rechtlichen Grundlagen gelten, wo Spielräume bestehen und was HR-Verantwortliche konkret tun können, um sowohl Gesundheitsschutz als auch betriebliche Abläufe in Einklang zu bringen.
Gibt es ein Recht auf Hitzefrei?
Im schweizerischen Arbeitsrecht existiert kein ausdrücklicher Anspruch auf ‘Hitzefrei’. Weder das Arbeitsgesetz (ArG) noch seine Verordnungen sehen Temperaturgrenzen vor, ab denen die Arbeit automatisch einzustellen wäre. Das bedeutet: Auch bei Temperaturen jenseits der 30 oder 35 Grad bleibt die Arbeitspflicht grundsätzlich bestehen. Allerdings bedeutet das nicht, dass Arbeitgebende untätig bleiben dürfen.
Die Regelung erfolgt über die allgemeinen Bestimmungen zum Gesundheitsschutz. Artikel 6 des Arbeitsgesetzes verpflichtet Arbeitgebende, die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu schützen. Dieser Schutz ist nicht nur auf Maschinen, Lärm oder Chemikalien beschränkt, sondern umfasst auch klimatische Bedingungen, sofern diese die Leistungsfähigkeit oder Gesundheit beeinträchtigen können.
Ein gesetzlich geregeltes ‘Hitzefrei’ wäre zwar wünschenswert klar, wäre aber in der Praxis schwer zu pauschalisieren: Arbeitsumgebung, körperliche Belastung, Bekleidung, Alter und Gesundheitszustand wirken als Einflussfaktoren. Darum liegt der Fokus auf einer Einzelfallbeurteilung.
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers – Theorie und gelebte Praxis
Die Fürsorgepflicht gemäss Artikel 328 Obligationenrecht und Artikel 6 Arbeitsgesetz bildet die Grundlage für Schutzmassnahmen bei Hitze. Arbeitgebende müssen dafür sorgen, dass Mitarbeitende vor vermeidbaren Belastungen geschützt werden. Das bedeutet konkret: Sie müssen überlegen, welche Massnahmen unter den gegebenen betrieblichen und infrastrukturellen Möglichkeiten realisierbar sind.
Mögliche Massnahmen können sein:
- Anpassung der Arbeitszeiten (z. B. Arbeitsbeginn in den kühleren Morgenstunden)
- Verlängerte oder zusätzliche Pausen
- Bereitstellung von Trinkwasser oder Elektrolytlösungen
- Flexible Kleiderregeln
- Ventilatoren, mobile oder fest installierte Klimageräte oder Sonnenschutzvorrichtungen
Wichtig: Diese Massnahmen sollten nicht aus Kulanz, sondern aus arbeitsrechtlicher Verantwortung ergriffen werden. Denn wird eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Untätigkeit des Arbeitgebers verursacht, kann dies haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Empfehlungen der Suva – Orientierung statt Gesetz
Die Suva als bedeutende Institution für Arbeitssicherheit bietet praxisnahe Empfehlungen, die allerdings keine Gesetzeskraft haben. Dennoch sind sie im Arbeitsalltag äusserst relevant, weil sie eine Orientierungsgrösse für HR und Sicherheitsbeauftragte darstellen.
Die Suva empfiehlt:
- Ab 30 Grad: Schutzmassnahmen für Personen mit körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten
- Ab 33 Grad: Reduktion der Arbeitsintensität oder Verlagerung in kühlere Zeiten
- Ab 34 Grad in Innenräumen: Prüfung technischer Massnahmen (Klimatisierung, Ventilation)
Die Empfehlungen zeigen, dass ab bestimmten Temperaturwerten Handlungsbedarf besteht. In Haftungsfragen könnten sie bei Streitigkeiten durchaus als Referenz herangezogen werden.
Verantwortung von HR und Linienvorgesetzten
Die betriebliche Umsetzung des Gesundheitsschutzes liegt nicht allein beim obersten Management, sondern wird massgeblich von HR-Verantwortlichen und direkten Führungspersonen getragen. Gerade in Hitzewellen zeigt sich, wie ernst eine Organisation ihren Schutzauftrag nimmt.
Es empfiehlt sich:
- Erstellung von Hitze-Notfallplänen
- Schulung von Vorgesetzten zur Erkennung hitzebedingter Symptome (z. B. Hitzschlag, Dehydrierung)
- Kommunikation von Verhaltensregeln bei Hitzeperioden
- Einrichtung von anonymen Feedbackkanälen bei Problemen
Ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), das saisonale Risiken mitdenkt, kann die Resilienz des Unternehmens erhöhen und gleichzeitig die Mitarbeitendenbindung stärken.
Rechte und Grenzen der Arbeitnehmenden
Auch Arbeitnehmende haben Pflichten. Ein unentschuldigtes Fernbleiben oder das eigenmächtige Verlassen des Arbeitsplatzes aufgrund von Hitze ist in der Regel nicht zulässig. Allerdings gilt auch hier: Gesundheit geht vor.
Wird die Arbeitsleistung durch äussere Umstände (z. B. zu hohe Raumtemperaturen) unzumutbar, ist der Dialog mit der vorgesetzten Person zu suchen. Erst wenn nachweislich keine Schutzmassnahmen getroffen werden und die Gesundheit akut gefährdet ist, kann ein (dokumentierter) Arbeitsabbruch gerechtfertigt sein.
Besonders sensible Gruppen wie Schwangere, Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder ältere Mitarbeitende sollten in Risikophasen besonderen Schutz erhalten.
Sonderfall Homeoffice – Verantwortung endet nicht an der Haustür
Viele Arbeitgebende neigen dazu, das Homeoffice als ‘Eigenverantwortungszone’ der Mitarbeitenden zu betrachten. Das ist juristisch nicht haltbar. Auch für mobiles Arbeiten gelten die Grundprinzipien der Fürsorgepflicht.
In der Praxis bedeutet das:
- Arbeitgeber müssen prüfen, ob die Arbeitsumgebung zu Hause für die aktuelle Wetterlage geeignet ist
- Bei anhaltender Hitze sollten Alternativen (z. B. klimatisierte Arbeitsplätze im Unternehmen) angeboten werden
- Technische Hilfsmittel zur Verbesserung der Bedingungen (z. B. Ventilatorpauschale) können Teil eines modernen HR-Ansatzes sein
Das Thema ‘digitale Führung’ umfasst also nicht nur Software-Tools, sondern auch Klimabewusstsein.
Zwischen Klima und Compliance – HR in der Verantwortung
Die Frage nach dem ‘Hitzefrei’ in der Arbeitswelt führt uns nicht in eine juristische Sackgasse, sondern zu einer ethischen Weichenstellung. Arbeitgebende, die bei Hitzeperioden lediglich auf das Gesetz verweisen, verkennen den Geist des Arbeitsrechts: Den Schutz der menschlichen Gesundheit. HR-Professionals sind gefordert, nicht nur mit Kulanz, sondern mit Systematik und rechtlichem Bewusstsein auf klimatische Extremereignisse zu reagieren. Das bedeutet auch, Prozesse zu schaffen, in denen Gesundheit, Produktivität und Flexibilität nicht als Gegensätze verstanden werden, sondern als Elemente eines zukunftsfähigen Arbeitsmodells.
Denn eines ist klar: Der Klimawandel macht auch vor der Personalabteilung nicht halt.
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