Apr 6

Bilden HR-Trends die Wirklichkeit ab? 10 Kurzthesen.

Autor: PersonalRadar

Voraussagen soll man unbedingt vermeiden, besonders solche über die Zukunft‘, meinte einmal Mark Twain, der bekannte Schriftsteller aus dem Süden der USA. Er wurde schon während seiner Zeit für seine saftigen Aphorismen und Lebensweisheiten bewundert und gefürchtet.

Technologische Sprünge und raffinierte Algorithmen werden in den nächsten Jahren viel Bereiche der Wirtschaft disruptiv verändern (Bildquelle: www.pixabay.com; Fotograf: Pexels)

Seit die Corona-Pandemie weltweit Volkswirtschaften und Gesellschaften umpflügt, verändert sich auch viel im Mikrokosmos der Unternehmen. Die virtuellen Treffen am Bildschirm sind, gegen alle Widerstände, zum Allgemeingut geworden. Der schnelle Austausch via mobile Telefonie mit den dazu passenden Applikationen ist ebenso zur Selbstverständlichkeit geworden und beschränkt sich in der Zwischenzeit nicht nur auf die Freizeit. Die neuen Technologien mit den vielen mitunter umwerfend praktischen Anwendungsmöglichkeiten verändern in den nächsten Monaten radikal und disruptiv die

  • Geschäftsreiseindustrie,
  • die geschäftliche Meetings- und Sitzungskultur,
  • die Rekrutierung von Bewerbenden,
  • den Handel in allen Formen und
  • viele andere Bereiche des täglichen Lebens; im Guten wie zum Schlechten.

Interessant ist, dass im Rekrutierungsbereich die neuen technologischen Möglichkeiten stark genutzt werden. Nicht weil es immer Spass macht, sondern weil das persönliche Treffen mit Menschen aufgrund der immer noch vorherrschenden Ansteckungsgefahr nur reduziert möglich ist und dadurch innovative Technologien entstehen, die man nicht ignorieren kann.

Trends sind in der Rückschau seichtes Wasser im Schwimmbecken, das leicht nach Urin riecht.

Schnell ist ein Trend alte Wäsche und an einem anderen Ort dieser Welt entwickelt sich eine neue technologische, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Subkultur, die man vor Monaten nicht für möglich gehalten hätte. Die prospektive, neugierige Sicht der Trend-Auguren und der Gilde der Zukunftsforschung ist nötig und braucht es, um mögliche Neuentwicklungen so einordnen zu können, dass sie den Betroffenen später nicht um die Ohren fliegen. Das Erkennen solcher Entwicklungstendenzen ist anspruchsvoll geblieben.

Die Pandemie pflügt die Welt um. Ihre Auswirkungen zeigen klar auf, dass das was heute Abend noch gilt, frühmorgens schon intellektuell verwest und keinen Wert mehr haben kann. Die sicher geglaubten Trends lösen sich wie Würfelzucker im Kaffee auf. Das Erkennen von Metatrends ohne gesicherte Datenlage oder die instinktsichere Interpretation dieser ist nach wie vor hohe Kunst und risikobehaftet. Vieles zeichnet sich ab und nimmt dann doch die falsche Kurve.

Matthias Horx, der Gründer des Zukunftsinstituts in Frankfurt und Wien, der sich als Zukunftsoptimist, Provokateur und Visionär bezeichnet, schrieb schon 2015 folgende Erkenntnis:

Matthias Horx (Bildquelle: https://www.zukunftsinstitut.de/menschen/matthias-horx/)

‚In der Trendforschung wird mit vielen verschiedenen Arten von Trends gearbeitet, die ziemlich unscharf ineinander übergehen – und häufig sorglos bis fahrlässig miteinander verwechselt werden. Soziale Trends werden gerne mit Marketingtrends vermischt, Mikrotrends zu Hype-Trends aufgemotzt, und technische Trends gelten als eine Art Katechismus der Zukunft.

Die Kategorie der „Megatrends“ lässt sich vielleicht noch am leichtesten definieren und abgrenzen: Megatrends sind jene Veränderungsprozesse, die langfristig, nachhaltig und komplex die gesamte Welt verändern. Sie unterscheiden sich von anderen Trendarten deutlich dadurch, dass sie nicht auf ein Segment, eine Branche, eine Region oder ein einzelnes Thema – oder einen simplen Markt – beschränkt sind. Megatrends durchdringen alle gesellschaftlichen Bereiche, verändern Politik, Lebenswelten und Wertesysteme. Sie sind die Blockbuster des Wandels. Oder auch: „Lawinen in Zeitlupe“ (Quelle: https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/future-forecast/metatrends-wie-komplexitaet-entsteht)‘,

Es wurde viel über die HR-Trends im Jahr 2021 geschrieben. Viele davon sind spannend und interessant zu lesen. Einige davon sind schon wieder obsolet, altbacken und ein Griff ins Klo. Was uns aber sicher über die nächsten Jahre weiter auf Trab halten wird, sind folgende 10 Entwicklungen:

  1. Die Anstellungsverhältnisse werden sich noch mehr flexibilisieren. Der Mix zwischen Arbeit vor Ort in der Firma und von zuhause aus, wo er auch wirklich möglich ist, hat sich durchgesetzt. Arbeitnehmende werden darauf pochen und diese Arbeitsform in Zukunft akzentuiert einfordern. Unternehmen, die nicht mitmachen, werden als rückständig und konservativ eingestuft.
  2. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), die forcierte Automatisierung bei der Rekrutierung und Vorselektion in Verbindung mit telematischen Medien werden massiv zunehmen. Die Komplexität der Rekrutierungstechnik und die rigide Strukturierung von massgeschneiderten Rekrutierungsprozessen, die keine Spontanität mehr zulassen, sind auf dem Vormarsch. Der Glaube mit Software Menschen auf unterschiedlichste Art erkennen, einordnen und einschätzen zu können wächst stark. Der Einsatz von günstigen maschinellen Diagnoseinstrumente, gestützt auf selbstlernenden Algorithmen, wird in Zukunft ebenso technikbegeistert und zuweilen naiv eingesetzt. Die fachliche Interpretation der erzeugten Ergebnisse durch geeignete wie auch geschulte Fachkräfte wird abnehmen und aus Kostengründen vermehrt Laien anvertraut. Resultate werden selbst dann als zutreffend empfunden, wenn das Ergebnis mit dem richtigen Menschen aus Fleisch und Blut nicht korreliert. Die Ernüchterung über solche Ungereimtheiten wird zunehmen und von einer wachsenden Skepsis begleitet.

    Auch die Zukunft wird zur Vergangenheit (Bildquelle: www.pixabay.com; Fotograf: Wokandapix)

  3. Viele Firmen passen ihre digitalen Bewerbungsprozesse an. Die Bewerbung auf Papier und das postalische Einsenden mit Wertzeichen sind absolut tot. Vielerorts wird das mit einem ökologischen Gewissen verbunden. Das ist selbstverständlich ein schönes Märchen, das niemand wirklich glaubt. Digitale Prozesse sind billiger, schneller und effizienter. Die Daten werden freiwillig von den Bewerbenden kostengünstig erfasst. Diese lassen sich gut nutzen und werden später für weitere Rekrutierungsbemühungen bewirtschaftet. Alle wissen darum. Die neue Normalität der Datenbergwerke wird auch der Datenschutz nicht aufhalten können. Die Bereitschaft Daten zur Verfügung zu stellen, wird zunehmend arglos geschehen. Bewerbungen können maschinell interpretiert und mit offenen Vakanzen vorselektiv abgeglichen werden.
  4. Die herkömmliche, altmodische ‘Top-Down-Führungskultur‘ wird pulverisiert. Niemand will noch so geführt werden. Die positive Haltung gegenüber der Selbstführung und der Vertrauenskultur übernimmt immer mehr. Mitarbeitende wollen nicht mehr einem latenten Misstrauen ausgesetzt sein, ob der Job wirklich gut gemacht wird. Arbeitszeiten vermischen sich mit inselähnlichen Freizeiträumen und erzeugen lavierende Zustände. Das Abschotten der beiden ‘Seins-Wirklichkeiten’ weicht dem organisatorischen Pragmatismus. Freizeit ist nicht immer nur noch frei und Arbeitszeit bedeutet nicht immer nur Arbeit ohne Unterbruch. Grenzen lösen sich auf. Die konsequente Abgrenzung wird immer schwieriger. Junge Menschen arrangieren sich. Sie kennen nichts mehr anderes. Die Lebensqualität wird über andere Werte, Wahrnehmungen und Handlungen identifiziert.
  5. Der obsessive, sinnentleerte und ritualisierte Sitzungswahn wird in vielen Firmen erodieren und verschwinden. Die Sitzungszimmer verstauben. Der Theatervorhang auf den firmeninternen Selbstdarstellungsbühnen bleibt öfters zu. Sitzungen werden in Zukunft schneller, effizienter und schnörkelloser über den Bildschirm abgewickelt werden. Zeit ist immer noch Geld. Formale Hindernisse werden aus dem Weg geräumt und Hemmungen fallen. Die ultrakurze virtuelle Sitzung von Handy zu Handy wird die physische Begegnung von ‘face-to-face’ ablösen. Sie ist nicht mehr verpönt. Alles ist im Fluss. Die Kommunikationsform sowieso. Die Taktgeschwindigkeit des Austausches löst überkommene Konventionen ab.
  6. Gute Bewerbende sind die neue harte Währung. Harte Währung gibt es nur in den offiziellen hoch digitalisierten Austauschkanälen. Der Graumarkt der analogen Niedrigqualifizierten wird sich von Jahrgang zu Jahrgang auflösen, da auch dieser immer mehr auf qualitätszertifizierte virtuelle Arbeitsmärkte Wert legt und die zunehmende Zahl an ‘Digital natives’ nichts anderes mehr kennt. Gut Qualifizierte messen Unternehmen auch an ihrer digitalen Kompetenz. Obskure, veraltete, nicht funktionierende Systeme werden durch Abbrüche der Bewerbungsbemühungen trockengelegt. Altmodische Firmen würden nur noch überleben, wenn sie keine humanen Arbeitskräfte mehr bräuchten und die Maschinen übernehmen. Aber altmodische Firmen werden zur Anwendung neuer Technik genötigt werden, wollen sie im Markt bleiben und überleben. Sie sind ebenso auf menschliche Arbeitskräfte angewiesen. Es gibt auch kein hypermodernes Unternehmen auf der ganzen Welt, das ohne Menschen auskommt. Die sogenannte ‘Candidate Experience’ ist deshalb beim Rekrutierungsprozess matchentscheidend. Wer gute Bewerbende warten lässt, weil man das immer noch für eine ‘Attitude of noble hesitation’ hält, wird früher oder später ganz unnobel aus dem Markt bugsiert. Die Demografie bewirkt, dass der neue begehrte Rohstoff wie die Batterie der Wirtschaft ist: gut ausgebildete, selbstbewusste und fordernde Menschen, die ihren Wert kennen und diesen auch kompromisslos einfordern. Wer nicht spurt, erhält keine guten Bewerbenden. Basta! Der Rest geht unter.

    Die passende Teamzusammensetzung wird in Zukunft immer entscheidender werden. ‚Menschelt‘ es zuviel, leidet die Arbeit (Bildquelle: www.pixabay.com, Fotograf: Joseph Mucira

  7. Das Fachwissen allein macht es nicht mehr aus, zumal die Halbwertzeit von Fachkenntnissen immer kürzer wird. Die richtige und stimmige Zusammensetzung der Teams wird über die Zukunft entscheiden. Es braucht Persönlichkeiten, die es im Griff haben, wenn es ‘menschelt’ und auf einmal die Stimmung schneller sinkt als der Lift im Wolkenkratzer. Die weichen Faktoren werden in Zukunft die harten sein. Man muss immer noch etwas wissen und können. Das wird aber in einer Wissensgesellschaft ohnehin vorausgesetzt. Wer nichts kann oder weiss hat es in einer hoch professionalisierten Arbeitswelt schwer. Da nützt die Sozialkompetenz auch nichts mehr. Die gute Mischung macht es aus und ist hoch begehrt.
  8. Man arbeitet, um Geld zu verdienen und ordnet dieser Maxime alles unter. Das ist tempi passati. Die pekuniär Getriebenen werden von den ‘Neo-Ethischen’ untergebuttert, weil die ‘Geld-Bäume’ schon lange nicht mehr wie Pappeln in den Himmel schiessen. Geld wird knapp. Die Unternehmen rechnen härter. Geld als alleinige Motivation hat ausgedient. Die angestellte Geldelite mit ihren plutokratischen Selbstinszenierungen auf den weichen Teppichen der Entscheidungszentralen und ihren obszönen Symbolen der Macht, werden als ausbeuterisch empfunden, für die man nicht unbedingt mehr arbeiten möchte. Die bedingungslose Selbstausbeutung, um die Karriereleiter schnell zu erklimmen ist ebenso nicht mehr erstrebenswert. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit feiert Urständ. Gut Ausgebildete legen Wert auf moderne Vorteile wie Homeoffice, mehr Ferien, gute Bildungsangebote, Teilzeitmodelle, echte Fehlerkultur, basisdemokratische Führungsteams, gelebte Lohn- und Geschlechtergleichheit, Inklusion, Gender- und Einkommensgerechtigkeit als einfach nur Macht, Hierarchie und Geld. Krösus wird vom Thron gestossen. Sinnzentrierte Bescheidenheit ist der Zollstock der neuen Arbeitswelt. Der neue Luxus ist die bewirtschaftete Frei- und Sinnzeit ohne Existenzsorgen.
  9. Die Diversität der Personalbestände und die Einbindung von Menschen mit Beeinträchtigungen (Inklusion) sind das neue Ideal. Grosskonzerne leben das grösstenteils schon vor. KMU sind gut beraten es diesen gleichzutun. Die kulturellen Grenzen, Identitäten und Prägungen der Menschen werden fliessender und vermischen sich stark. Das sind Chancen, aber auch aufwendige Entwicklungen, die ebenso agil denkende Personaler/-innen braucht, die weltoffen und empathisch sind. Globalzentrierte Weltbürger sind die neuen Spiesser, die ihr Nomadentum nur dann aufgeben, um in höchst kompetitiven, extrem gut bezahlten Arbeitsmärkten zu performen und sich für das Bleiben am Ort fürstlich entschädigen lassen. Die verwurzelten Lokalen nehmen diese als anmassend wahr und fordern aufgrund der aufkommenden Konkurrenz empört Korrektur ein. Der Kampf um die richtige Arbeitskultur der lokal Sesshaften versus der von aussen kommenden Niedergelassenen wird sich bei härter werdenden Arbeitsbedingungen und -märkten verschärfen. Die ausgewogene Durchmischung des Personals mit interkultureller Verhaltens-, Sprach- und Toleranzkompetenz wird in Zukunft immer wichtiger sein, um aufkeimenden Konflikten in globalisierten Lokalarbeitsmärkten Herr zu werden. Diversity, Inclusion und Employer Branding funktionieren nicht über Nacht. Es braucht Zeit, Geduld, Nerven und Hartnäckigkeit, um Dinge zu ändern, die die Einen sofort abschaffen und die anderen möglichst lange am Leben lassen möchten. Aus einem Esel macht man kein Rennpferd. Aber lieber ein Rennen mit sturen Eseln, die trotzdem vorwärtskommen, als mit Rennpferden, die beim ersten Hindernis straucheln, das Bein brechen und zum Metzger müssen. Die erfolgreiche Änderung ist auf lange Sicht auch nur wieder der Anfang einer neuen Tradition.
  10. HR-Trends entstehen aus den abgelaufenen Modellen der Gegenwart, die sich versuchen in die Zukunft zu retten. Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist nicht mehr aufzuhalten. Sie drängt dort schneller nach vorne, wo die hoch qualifizierte Arbeitskraft stark begehrt ist und alles getan wird, dass sie und ihre ‘Peer-Group’ möglichst angelockt werden und dann auch an die Systeme andocken. Die sozialkompetente, flexible und agile Fachkraft mit globaler Denkweise und lokaler Verbundenheit ist die neue seltene Erde der modernen Arbeitsmärkte. Sie wird selbstbewusst auftreten und Angebote, die nicht ihrem Wertesystem entsprechen kaltschnäuzig ablehnen. Der oder die Bittsteller/-in nach Arbeit weicht einem neuen Selbstverständnis, das sich nur anheuern lässt, wenn das Angebot stimmt. Das Ablehnen von unpassender Arbeit wird in reifen Volkswirtschaften sozialversicherungsrechtlich angenehm abgefedert und führt dazu, dass Selbstfindungsprozesse als Recht und Selbstverständlichkeit betrachtet werden. HR-Arbeit wird anspruchsvoller. Die HR-Abteilungen werden wieder an Einfluss gewinnen, da sie Kompetenzzentren bilden, die Veränderungen der Anspruchshaltungen besonders schnell spüren und dafür sorgen können, dass überholte Trends nicht zementiert werden und neuen Platz machen.

Im vergangenen Jahr wurden für das Jahr 2021 viele Voraussagen gemacht. PersonalRadar präsentiert eine nicht repräsentierende und vollständige Zusammenstellung einiger Voraussagen. Zwischen solide über vage bis zu gewagt ist alles dabei. Viele Voraussagen starten oft mit dem Licht einer Supernova und bleiben in der Rückschau doch nur Kerzenlichter:

Nehmen Sie Platz und schauen Sie in die Ferne! Es wird spannend in der HR Welt. Auch die nächsten Trends werden mal Vergangenheit sein (Bildquelle: www.pixabay.com, Fotograf: ImaArtist)