Juli 7

Wenn die Personalabteilung schweigt, brennt es meistens…

Author: PersonalRadar

Im Schatten der Strategieabteilungen, im Sog der operativen Hektik und unter dem Radar vieler Geschäftsleitungen arbeitet eine Funktion, die entscheidender für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ist, als es die meisten wahrhaben wollen: die Personalabteilung oder moderner ausgedrückt Human Resources (HR).

(Bildquelle: www.freepik.com)

Die Gegenwart ist geprägt von spürbaren disruptiven Entwicklungen, die alles von oben nach unten pflügen, etwa durch die Digitalisierung, den demografischen Wandel, die leise Erosion stabiler Erwerbsbiografien oder zunehmende mentale Belastung. Das HR ist weit mehr als nur die Personalabteilung: Es ist das Frühwarnsystem, das soziale Gewissen und das kulturelle Gedächtnis der Organisation. Doch genau diese Rolle wird systematisch unterschätzt oder abschätzig als Aufwandsposition gesehen.

Während Produktionsfehler, Lieferengpässe oder Budgetüberschreitungen sofort zu Managementreaktionen führen, bleibt menschliches Fehlklima oft unbeachtet. HR agiert leise, aber entscheidend, dort, wo Unternehmenskultur tatsächlich gelebt oder untergraben wird.

Wer HR nicht stärkt, riskiert den Zerfall jener Grundstrukturen, auf denen langfristiger Unternehmenserfolg basiert.

Das Unternehmen brennt, aber die Statistik zeigt erst noch Flaute…

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Wenn sich Organisationen auf Zahlen verlassen, um emotionale Krisen zu erkennen, sind sie oft schon zu spät. HR erkennt die Symptome menschlicher Erschöpfung lange bevor sie in Kennzahlen sichtbar werden. Das zeigt sich zum Beispiel in zunehmender Meeting-Abwesenheit, subtilen Stimmungsschwankungen, vermehrten Kurzabsenzen, diffuse Signale, die keine Excel-Tabelle einfängt, aber jedem erfahrenen HR-Profi auffallen. Der Begriff der ‘inneren Kündigung’, in der Arbeitspsychologie seit Jahrzehnten etabliert, beschreibt ein Phänomen, das HR längst erkennt, bevor Vorgesetzte oder Tools reagieren.

Studien zeigen immer wieder auf, dass nur ein Bruchteil der Mitarbeitenden sich emotional an ihr Unternehmen gebunden fühlt, ein Risiko, das viel Geld kostet. HR hört die stillen Vorboten dieser Entfremdung: den sarkastischen Kommentar in der Kaffeeküche, die resignierte Körpersprache im Mitarbeitergespräch oder das abrupte Schweigen in Teammeetings. Diese Signale sind kein Zufall. Sie verdichten sich zu einer sozialen Realität, die sich früher oder später in Fluktuation, Innovationsverlust und dem Zusammenbruch psychologischer Sicherheit manifestiert.

Doch HR steht dabei oft allein. Ohne analytische Tools zur qualitativen Wahrnehmung, ohne Budget für präventive Kulturarbeit, ohne Rückendeckung durch die Unternehmensleitung. In dieser strukturellen Ohnmacht geht der eigentliche Schatz verloren: die Fähigkeit von HR, den Puls der Organisation zu fühlen. Wenn man HR nicht zutraut, frühzeitig Alarm zu schlagen, wird man gezwungen sein, später Brände zu löschen, die längst hätten verhindert werden können und richtig ins Geld gehen. Die Frage ist nicht, ob HR rechtzeitig gewarnt hat,  sondern ob man bereit war, hinzuhören.

HR kennt den Sturm, darf aber nicht in die Kommandozentrale…

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HR ist in nahezu jeder organisatorischen Veränderung involviert, allerdings oft nur als Vollstreckerin, nicht als Mitgestalterin. Strategische Entscheidungen wie Restrukturierungen, Fusionen, Standortschliessungen oder digitale Transformationen werden häufig in C-Level-Kreisen getroffen, ohne HR frühzeitig einzubinden. Dabei wäre gerade in der Planungsphase der Input von HR entscheidend:

  • Welche kulturellen Widerstände sind zu erwarten?
  • Welche Schlüsselpersonen müssen früh eingebunden werden?
  • Welche psychologischen Nebenwirkungen entstehen?

Auch in diesem Bereich wurde viel geforscht. Einige Studien zeigen auf, dass über 70% aller Change-Prozesse nicht an der vielleicht klugen Strategie scheitern, sondern an der fehlenden kulturellen Verankerung. HR wäre in der Lage, diese Prozesse zu begleiten, abzufedern und auszugleichen. Doch ohne echtes Mandat bleibt HR oft im ‘kommunikativ-operativen Nachgang’ hängen.

Das Resultat: Entscheidungen, die gut gemeint sind, aber schlecht landen.

Die Mitarbeitenden erleben den Wandel nicht als Chance, sondern als wachsende Bedrohung und machen die Schoten dicht. Vertrauen geht verloren, nicht nur in die Führung, sondern in die gesamte Organisation. Wer HR als gleichwertige Stimme in die Kommandozentrale holt, reduziert nicht nur Widerstand, sondern steigert die Erfolgswahrscheinlichkeit jeder Transformation.

Die tägliche Dosis Leid. HR als emotionales Auffangnetz…

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Der Arbeitsalltag in HR ist durchsetzt mit menschlichen Schicksalen. Es geht um Krankheit, Trennung, Überforderung, Konflikte, psychische Krisen, Themen, die sonst niemand im Unternehmen auffängt. HR hört zu, vermittelt, schützt, ermutigt, und bleibt dabei oft selbst ohne Schutz. Die psychologische Forschung spricht hier von ‘emotionaler Dissonanz’: Die ständige Anforderung, eigene Gefühle zu kontrollieren, um professionell zu bleiben, während man mit dem Leid anderer konfrontiert ist.

In der Praxis führt das zu einem hohen Risiko für Erschöpfung, Zynismus und innerem Rückzug, ein Phänomen, das in der Forschung auch unter dem Begriff ‘Compassion Fatigue’ bekannt ist. HR-Fachpersonen brauchen nicht nur Empathie, sondern auch Räume, in denen sie selbst entlastet werden. Supervision, kollegiale Beratung und strukturierte Entlastungsgespräche sollten ebenso selbstverständlich sein wie Budgetverantwortung. Doch in vielen Unternehmen ist das Gegenteil der Fall: HR ist chronisch unterbesetzt, psychologisch auf sich allein gestellt und organisatorisch isoliert. Diese Bedingungen führen nicht nur zu individueller Überforderung, sondern auch zu einer systemischen Schwächung der Fürsorgekultur. Wer von HR verlangt, psychologisch stabilisierend zu wirken, muss selbst für stabile Rahmenbedingungen sorgen.

Zwischen Gewissen und Gehorsam. Die Loyalitätsfalle im HR…

HR bewegt sich permanent im Spannungsfeld zwischen ethischer Verantwortung und betrieblicher Loyalität.

  • Was tun, wenn eine Führungskraft wiederholt Mitarbeitende demütigt, aber geschäftlich ‘erfolgreich’ ist?
  • Was tun, wenn eine Kündigung rechtlich haltbar, aber menschlich fragwürdig ist?

Die Entscheidung, ob man interveniert oder schweigt, ist selten einfach, aber sie ist entscheidend.

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Moralischer Stress, wie ihn die Psychologie beschreibt, entsteht, wenn Menschen gegen ihre Überzeugung handeln (müssen). HR-Fachleute erleben diesen Zustand häufiger als viele andere Berufsfelder, und leider oft genug ohne institutionellen Schutz. In Organisationen mit stark hierarchischer Prägung wird kritisches HR-Verhalten schnell als ‘illoyal’ und anmassend gewertet. Das Ergebnis ist ein Klima der Anpassung, nicht der Aufrichtigkeit. Dabei müsste HR gerade in kritischen Situationen den Mut haben dürfen, menschlich korrekt zu handeln mit Rückendeckung der Geschäftsleitung. Dies verlangt klare Verhaltensregeln, ein/e Ethikbeauftragte/r oder zumindest ein unabhängiges HR-Gremium. Ohne solche Strukturen wird HR zum stillen Mitwisser und verliert jene Integrität, die es eigentlich schützen soll.

Gesundheitsförderung ohne Spiegel. HR vergisst sich selbst…

Es ist paradox: HR organisiert Gesundheitskampagnen, betreut Wiedereingliederungen, plant Resilienztrainings und ist selbst vielfach erschöpft. Die psychischen Belastungen im HR-Alltag sind enorm. Ständige Erreichbarkeit, Konfliktmoderationen, Personalengpässe und hohe Erwartungen seitens der Führung erzeugen ein permanentes Spannungsfeld. Die Vorstellung, dass HR ‘robust’ sein muss, ist tief kulturell verankert, aber gefährlich.

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Die Arbeitspsychologie spricht in diesem Kontext von ‘sekundärer Traumatisierung’: dem Phänomen, dass Menschen, die ständig mit dem Leid anderer arbeiten, selbst emotional ausbrennen. Prävention beginnt hier nicht bei der Bereitstellung von Obstkörben oder Fitnessabos, sondern bei struktureller Entlastung. Dazu zählen: realistische Fallzahlen pro HR-Fachkraft, klare Eskalationspfade bei Grenzüberschreitungen, zeitliche Pufferzonen für Erholung und vor allem: eine Führung, die anerkennt, dass Fürsorgekräfte selbst Fürsorge brauchen. In der Schweiz wird das Thema in vielen Unternehmen noch vernachlässigt. Die Folge: hohe Fluktuation, psychische Langzeitfolgen, Qualitätseinbussen. Wer gesunde Arbeit gestalten will, muss HR nicht nur fragen, sondern schützen.

Diversity ist kein Poster. Sie ist vielmehr ein Testfall für Glaubwürdigkeit…

Diversität ist nicht nur eine Frage des Images, sie ist ein Gradmesser für institutionelle Gerechtigkeit. Doch zu oft wird sie als Marketinginstrument missbraucht. HR kennt die Realität:

  • Bewerbungen mit ausländischen Namen erhalten seltener Einladungen
  • Frauen über 50 werden seltener befördert
  • queere Personen erleben Mikroaggressionen im Alltag.
  • usw.

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Diese strukturellen Ungleichheiten sind kein Einzelfall, sondern Ausdruck unbewusster Vorurteile, sogenannter ‘implicit biases’, die wissenschaftlich gut dokumentiert sind.

Studien belegen, dass vielfältige Teams innovativer, resilienter und erfolgreicher sind, wenn sie in einer inklusiven Kultur arbeiten. HR kann diesen Wandel anstossen, aber nicht allein stemmen. Es braucht klare Zielvorgaben, verbindliche Quoten, transparente Beförderungsverfahren und ein Monitoring, das mehr misst als nur das Geschlecht. Vielfalt bedeutet nicht nur Repräsentation, sondern gleichwertige Teilhabe. Ohne strukturelle Veränderung bleibt Diversität ein Symbol ohne Substanz. HR muss das Recht haben, unbequem zu sein, denn ohne Reibung entsteht kein Fortschritt. Und ohne Glaubwürdigkeit verliert jedes Leitbild seinen Wert.

HR ist Teil des betrieblichen Rückgrats. Bricht es, dann…

Human Resources ist keine administrative Nebenfunktion. Es ist die moralische Instanz, das psychologische Zentrum und das soziale Steuerungssystem der Organisation. In einem Arbeitsbiotop, in der Führung unter Legitimationsdruck steht, Mitarbeitende nach Sinn suchen und psychische Gesundheit zur Schlüsselressource wird, braucht es ein starkes HR, strategisch, ethisch und menschlich. Doch Stärke verlangt Struktur: echte Mitsprache, wirksamer Schutz, genügend Ressourcen und stabiles Vertrauen.

Wer das HR kleinhält, verliert Geld. Wer das HR jedoch stärkt, trägt dazu bei, dass die Mitarbeitenden nicht davonlaufen. Denn wo das HR schweigt, verliert das Unternehmen seine Stimme.