Juli 10

Der grösste Braindrain geschieht durch Pensionierung…

Author: PersonalRadar

Die Schweiz steht an einem historischen Wendepunkt. Während viele europäische Staaten ihre Rentensysteme reformieren, zeigt sich unser Land überraschend zögerlich.

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Diese Zurückhaltung ist gefährlich. Sie nährt die Illusion, man könne ewige Frühpensionierung, steigende Lebenserwartung und die Finanzierung der Altersvorsorge irgendwie gleichzeitig stemmen.

Dabei sind die Fakten glasklar: Der Arbeitsmarkt ist auf ältere Menschen angewiesen, heute mehr denn je. Der Ruf nach einem höheren Rentenalter ist kein neoliberaler Reflex oder Unsinn, sondern eine sozialpolitische Notwendigkeit. Die Diskussion darüber darf nicht länger emotional geführt werden, sondern muss sich an den demografischen Realitäten orientieren. Wir leben länger, gesünder und aktiver.

Doch statt dieses Potenzial zu nutzen, diskutieren wir über Pensionierungsmodelle aus dem letzten Jahrhundert. Die Schweiz muss aufhören, Altersarbeit als Ausnahme zu betrachten, sondern als Normalität begreifen. Sonst wird uns die demografische Wucht überrollen.

Mythen und Märchen: Die gängigen Ausreden im Faktencheck…

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Der Mythos vom arbeitslosen Alt-Arbeitnehmenden ist tief verankert. Er dient als bequeme Projektionsfläche für Ängste, Unsicherheiten und systemische Versäumnisse. Dabei stimmt er längst nicht mehr mit der Realität überein. Die Erwerbsquote der über 60-Jährigen liegt bei rund zwei Dritteln, das ist im internationalen Vergleich ein sehr hoher Wert.

Diese Menschen sind nicht zufällig noch im Erwerbsleben: Sie sind produktiv, leistungsfähig und in vielen Branchen unverzichtbar. In der Pflege, im Unterricht, in technischen Berufen oder im Bauwesen. Ohne die Generation Ü60 würde bereits heute vieles stillstehen. Auch KMU, Familienbetriebe und hochspezialisierte Dienstleister setzen gezielt auf ältere Mitarbeitende. Denn sie bringen oft das mit, was man nicht auf dem Papier lernt: Lebenserfahrung, starke Widerstandskraft in Krisen, Einfühlungsvermögen und Pragmatismus.

Die vermeintlich ‘unproduktive’ Altersgruppe leistet faktisch einen riesigen Beitrag zur Schweizer Wirtschaftsleistung. Die Annahme, dass ein höheres Rentenalter unsozial sei, beruht auf einem verzerrten Menschenbild, nicht auf Daten. Wer den demografischen Wandel ignoriert, riskiert soziale Ungleichheit zwischen Jung und Alt. Nur wenn alle einen Beitrag leisten, bleibt das System langfristig stabil.

Arbeit statt Stillstand: Die Zahlen sprechen eine klare Sprache…

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Was die Erwerbsquote belegt, wird durch andere Indikatoren ergänzt. Der Arbeitsmarkt hat ältere Mitarbeitende nicht nur akzeptiert, er hat sich an sie angepasst. Flexible Arbeitszeitmodelle, Teilzeitoptionen, Homeoffice oder Sabbaticals werden zunehmend auch für ältere Mitarbeitende implementiert.

Besonders in Branchen mit chronischem Fachkräftemangel wie IT, Bau, Logistik oder Maschinenbau, ist der Erfahrungsschatz älterer Angestellter sogar entscheidend für betriebliche Stabilität. Die zunehmende Digitalisierung zwingt Firmen dazu, ihre Personalstrategien zu überdenken: Die Innovationskraft jüngerer Beschäftigter braucht die Verlässlichkeit, das Know-how und die systemische Intelligenz älterer Kolleginnen und Kollegen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit unter über 50-Jährigen ist nicht zufällig, er ist das Ergebnis eines strukturellen Wandels im Arbeitsmarkt.

Auch die Politik trägt ihren Teil dazu bei: Programme zur beruflichen Standortbestimmung, Weiterbildung und Wiedereingliederung haben Wirkung gezeigt. Langzeitstatistiken des Bundesamts für Statistik (BFS) bestätigen: Wer mit 60 noch arbeitet, tut dies meist freiwillig mit Freude und nicht aus Zwang. Das Bild der erschöpften, ausgelaugten Senior:innen hält der Realität kaum noch stand.

Auch physisch fordernde Berufe entwickeln zunehmend ergonomische, automatisierte und mechanisierte Arbeitsumgebungen, was längere Erwerbsphasen begünstigt und auch ermöglicht. Das kräftezehrende, jahrzehntelange, körperverschleissende Malochen ist ein Bild aus der Vergangenheit, das zwar in ideologisch eingefärbten Diskussionen immer noch bemüht wird, aber der Realität schon lange nicht mehr standhalten kann.

Die Statistik lügt nicht. Sie kann aber täuschen…

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Statistische Werte müssen verstanden und korrekt eingeordnet werden. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man absolute Zahlen oder Quoten vergleicht. Gerade bei kleinen Vergleichsgruppen, wie bei den über 60-Jährigen, können einzelne Ereignisse die Quote stark beeinflussen. Das heisst: Wenn nur wenige Menschen in einem Alter arbeiten, reichen schon wenige Arbeitslose, um rechnerisch eine hohe Quote zu erzeugen.

Solche Effekte führen oft zu falschen politischen Interpretationen. Hinzu kommt: Viele über 60-Jährige entscheiden sich freiwillig für einen früheren Rückzug aus dem Arbeitsmarkt, sei es zur Pflege von Angehörigen, wegen gesundheitlicher Einschränkungen oder weil sie finanziell gut abgesichert sind. Ihre Abwesenheit in der Erwerbsstatistik ist also nicht gleichbedeutend mit systemischer Ausgrenzung.

Wer seriös argumentiert, muss zwischen struktureller Arbeitslosigkeit und freiwilligem Rückzug unterscheiden. Zahlreiche Länder, darunter Schweden und Norwegen, zeigen, dass hohe Erwerbsbeteiligung bis 67 oder 68 Jahre möglich ist, wenn das Umfeld stimmt. Der Schlüssel liegt in der Vermeidung von Generalisierungen. Nicht das Alter ist entscheidend, sondern die individuelle Situation und die Bereitschaft des Arbeitsmarktes, Flexibilität zu bieten.

Kosten, Klischees und Kalkül: Warum ältere Arbeitnehmende oft gemieden werden…

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Der ökonomische Reflex gegenüber älteren Bewerbenden ist tief in den HR-Strukturen verankert. Zu teuer, zu langsam, zu risikobehaftet, so lauten die gängigen Vorurteile. Dabei zeigt sich bei genauer Betrachtung: Viele dieser Bedenken sind vorgeschoben. Die höheren Lohnnebenkosten entstehen vor allem durch das BVG-System, eine Konstruktion, für die die Alten nichts können, die auch nicht gottgegeben ist, sondern reformierbar wären, wollte man das wirklich und wäre der dafür nötige politische Wille auch vorhanden.

Die angebliche ‘technologische Rückständigkeit’ älterer Menschen ist längst überholt wie auch ein lächerliches Vorurteil. Viele bilden sich autodidaktisch weiter, sind neugierig, besuchen freiwillig Kurse oder holen Abschlüsse nach.

Zudem bringen ältere Mitarbeitende oft eine emotionale Intelligenz mit, die jüngere Kolleginnen und Kollegen erst noch entwickeln müssen. Im Kundenkontakt, bei der Führung von Teams oder im Umgang mit komplexen, nicht-linearen Herausforderungen sind sie unschlagbar. Unternehmen, die Diversität ernst nehmen, wissen: Alter ist ein Vorteil, kein Handicap.

Auch der Gedanke, ältere Mitarbeitende blieben nur kurz im Betrieb, relativiert sich, wenn das Rentenalter steigt. Wer weiss, dass er bis 68 arbeitet, wird mit 60 noch gezielt in neue Projekte investieren. Die Frage ist nicht, ob sich ältere Arbeitnehmende lohnen, sondern ob Unternehmen sich ihre betriebliche wie auch wirtschaftliche Ignoranz noch leisten können.

Die Unternehmen wachen langsam auf. Reicht das schon?

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Zahlreiche Initiativen haben in den letzten Jahren versucht, das Altersbild in den Firmen zu korrigieren. Programme wie «focus50+» sind mutige und gute Schritte in die richtige Richtung, aber sie bleiben oft auf der symbolischen Ebene stehen und sind ein wenig zahnlos. Was fehlt, ist eine konsequente Umsetzungsstrategie in der Breite der gesamten Wirtschaft. Es braucht eine nationale Kampagne, die das Potenzial älterer Erwerbstätiger nicht nur beschreibt, sondern aktiv mobilisiert.

Dazu gehören steuerliche Anreize für die Einstellung älterer Personen, aber auch arbeitsrechtliche Reformen, die längeres Arbeiten ermöglichen, ohne gesundheitliche Risiken zu erhöhen. Firmen müssten in der Lage sein, altersgerechte Laufbahnmodelle zu etablieren: mit Übergangsjobs, internen Coachingrollen oder rotierenden Tätigkeitsfeldern. Der technologische Wandel ist dabei kein Hindernis – im Gegenteil: Digitale Tools können helfen, Arbeitsplätze an individuelle Voraussetzungen anzupassen.

Auch auf der Führungsebene braucht es ein Umdenken: Altersdurchmischte Teams sind oft stabiler, konfliktresistenter und innovationsfähiger. Der wirtschaftliche Nutzen eines aktiven und modernen ‘Age Managements’ ist längst belegt nur die Umsetzung lässt auf sich warten. Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern wann sich diese Sichtweise durchsetzt.

Der demografische Tsunami rollt auf uns zu. Wir bauen noch Sandburgen…

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In den nächsten zehn Jahren wird die Schweiz rund eine halbe Million Erwerbstätige verlieren, allein durch Pensionierungen. Sie lesen richtig: 500’000 erprobte Berufsfachleute. Gleichzeitig rücken zahlenmässig deutlich kleinere Generationen nach. Der Nachwuchs reicht schon lange nicht mehr, um die klaffenden Lücken im Berufsmarkt zu schliessen.

Dieser Mangel an Fachkräften wird nicht einfach nur spürbar, er wird das gesamte Wirtschaftssystem brutal unter Druck setzen und den Wohlstand gefährden. Eine kontrollierte, qualifizierte Migration von gut Ausgebildeten kann diesen Effekt abfedern, aber niemals aufheben.

Zudem sind unsere Nachbarländer ebenfalls auf der Suche nach Arbeitskräften. Deren Sogwirkung ist nicht zu unterschätzen. Sie erhöhen die Rückkehranreize massiv, verbessern Löhne substanziell und machen ihre Heimat somit viel attraktiver.

In diesem internationalen Wettbewerb darf sich die Schweiz keine Schwäche leisten. Wer freiwillig auf ältere Mitarbeitende verzichtet, handelt nicht nur unökonomisch, sondern verantwortungslos. Auch für die Sozialwerke ist das fatal: Wenn weniger Menschen arbeiten, sinken die Einnahmen, während die Ausgaben für die AHV steigen. Einfach die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Finanzlöcher zu stopfen ist keine Lösung, sondern belastet die Volkswirtschaft unnötig und mach alles noch teurer.

Aber ein höheres Rentenalter würde das System nicht nur stabilisieren, sondern generationengerecht machen. Es ist absurd, wenn die wirtschaftlich stärkste Altersgruppe früher aussteigt, während die Jungen die Last alleine tragen müssen. Gesellschaften, die älter werden, müssen länger arbeiten oder sie zerbrechen an sich selbst.

Rentenalter erhöhen? Eine wirtschaftliche Notwendigkeit, kein gesellschaftliches Nice-to-have…

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Der Schweizer Wohlstand basiert auf drei Grundsäulen:

  • hohe Produktivität,
  • gut qualifizierte Arbeitskräfte und
  • stabile Sozialwerke.

Alle drei geraten zunehmend unter Druck, nicht wegen technologischer Umbrüche oder geopolitischer Unsicherheiten, sondern wegen demografischer Verwerfungen, die sich seit Jahrzehnten abzeichnen, aber politisch verdrängt wurden. Die Babyboomer-Generation tritt ins Pensionsalter ein und hinterlässt eine massive Lücke im Erwerbssystem.

Gleichzeitig verlängert sich die Lebenserwartung, was die Finanzierungsdauer der Renten deutlich erhöht. Die Konsequenz: Die Beitragsdauer stagniert, die Leistungsdauer explodiert.

Ein zu tiefes Rentenalter führt zu sinkenden Arbeitsvolumen, schrumpfenden Steuererträgen, rückläufigen Beitragszahlungen in die AHV und steigenden Ausgaben für Gesundheits- und Altersversorgung. Wenn dieser gefährliche Trend ungebremst weiterläuft, geraten nicht nur die Sozialwerke in Schieflage, auch der Fachkräftemangel wird strukturell, nicht mehr nur zyklisch. Produktivitätseinbussen, Lieferengpässe, steigende Opportunitätskosten und wachsender Lohndruck sind die betriebswirtschaftliche Folge.

Ein höheres Rentenalter ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ein zwingender Hebel, um die Erwerbsbevölkerung zu stabilisieren, das Wachstumspotenzial zu sichern und die Generationenbilanz der Sozialsysteme wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Bereits eine Erhöhung um ein Jahr bringt einen milliardenschweren Entlastungseffekt bei der AHV, ganz ohne Steuererhöhung oder Leistungsabbau. Langfristig wäre ein stufenweiser Anstieg auf 67 Jahre, gekoppelt an die Lebenserwartung, der effektivste Hebel zur Sicherung der fiskalischen Tragfähigkeit.

Gleichzeitig erhöht ein höheres Rentenalter den Anreiz für Unternehmen, auch in ältere Mitarbeitende zu investieren, anstatt sie als Übergangslösungen zu betrachten. Die Arbeitsmarkteffizienz steigt, Qualifikationen bleiben länger erhalten, und betriebliche Wissensverluste werden reduziert. Es geht also nicht um Ideologie, sondern um wirtschaftliche Rationalität. Der demografische Wandel ist kein Schicksal, sondern ein Managementproblem. Und das wirksamste Instrument in diesem Management ist: eine realistische, datenbasierte Rentenpolitik.

Wer glaubt, dass sich ein tiefes Rentenalter auf Dauer schon irgendwie finanzieren lässt, unterschätzt nicht nur die Versicherungsmathematik, sondern auch den globalen Wettbewerb um produktive Arbeitskraft. Die Schweiz kann es sich nicht leisten, auf einen wachsenden Teil ihres Humankapitals freiwillig zu verzichten. Nicht aus sozialer Härte, sondern aus ökonomischer Vernunft. Die Zeit läuft ihr langsam davon…

Nachfolgend noch Fakten, Fakten, Fakten…

  1. Swiss Life zur Erwerbspartizipation ab 65 – Arbeitsquote & Bereitschaft

  2. Bundesamt für Statistik zu Erwerbs- und Pensionierungszahlen

  3. Studie zur Erwerbsquote 50–64-Jähriger (81,4%)

  4. Deloitte / Swiss-info zu Fachkräftemangel & demografischer Entwicklung

  5. Volksinitiative & Lebenserwartung – Verhältnis Beitragszahlende zu Rentnern  

  6. Wir sind focus50plus