LinkedIn ist kein Netzwerk, sondern ein Laufsteg der Eitelkeiten…
LinkedIn wurde einst als digitale Erweiterung beruflicher Netzwerke konzipiert, als interessante Plattform, auf der Expertise geteilt, Austausch gepflegt und berufliche Identität sichtbar werden konnte. Es war ein Ort, an dem Arbeit als soziales Handeln verstanden wurde, das von Kooperation und Vertrauen lebt. Heute dagegen ist LinkedIn ein Labor für eine neue Art der Ökonomie: die der aggressiven Aufmerksamkeit.
Die Plattform, die ursprünglich einfach Verbindung schaffen wollte, hat die Verbindung selbst zur Massenware gemacht. Sichtbarkeit, selbst dann, wenn sie aggressiv marktschreierisch daherkommt, gilt schlicht als Erfolg, und Erfolg misst sich nun mal schnöde in Reichweite.
Hinter der Fassade von Offenheit steht eine tiefgreifende Verwertungsideologie, die nicht nur Arbeit, sondern auch Kommunikation, Selbstdarstellung und Empathie, ohne Federlesens rücksichtslos ökonomisiert und kühl ausbeutet.
LinkedIn ist schon lange keine neutrale Plattform mehr, sondern eine gut geschmierte Geldmaschine, die viel Gewinn abwirft. Sie reproduziert die Logik des Marktes im Sozialen: Wer wahrgenommen werden will, muss auf Teufel komm raus einfach Inhalt, oder modern ausgedrückt ‘Content, liefern; wer still ist, verschwindet aus dem Feed.
So verwandelt sich auch das Persönliche in eine Produktkategorie. Gefühle, Gedanken und Erfahrungen werden geschickt instrumentalisiert, um das eigene Profil angeblich zu ‘pflegen’. Viele übertreiben es damit und merken gar nicht wie die Mühlsteine der Sozialen Medien das eigene Ich zerreiben.
Damit steht LinkedIn exemplarisch für den Zustand einer Gesellschaft, die Selbstverwirklichung mit Selbstvermarktung verwechselt. Arbeit, Beziehung und Identität werden zur Bühne einer ermüdenden Daueroptimierung, die kaum mehr unterscheidet zwischen Tun und Zeigen, zwischen Können und Wirken.
Was verloren geht, ist der Sinn für das Zweckfreie. Die Leichtigkeit des Seins. Jene Form des Austauschs, die nicht verwertet werden will. Wenn LinkedIn wieder ein Ort echter Arbeitskultur werden will, müsste es den ökonomischen Imperativ durchbrechen, der alles Menschliche in rhythmisierende Effizienz übersetzt. Denn Arbeit, in ihrem ursprünglichen Sinn, ist nie nur Leistung in Metrik gegossen, sondern immer Beziehung.
Das Prinzip der Verfügbarkeit
Die Grundlogik von LinkedIn ist die der totalen Verfügbarkeit, jene stille, aber mächtige Erwartung, dass man jederzeit präsent, erreichbar, anschlussfähig sein muss. Diese Verfügbarkeit ist nicht nur ein technisches, sondern ein kulturelles Phänomen. Sie spiegelt das neue Sein des Digitalen wider: dass jedes Schweigen erklärungsbedürftig und jede Abwesenheit ein Fehler sei. Die Stille ist für viele unerträglich geworden. Das wohltuende analoge Off ist dem pochenden digitalen On gewichen.
In dieser Logik ist das Soziale zu einem Dauerzustand der Anschlussbereitschaft geworden. Kommunikation hat keinen Anfang und kein Ende mehr, sie zirkuliert ununterbrochen wie ein Perpetuum mobile. Der Algorithmus jagt uns und sorgt dafür, dass man nie ‘fertig’ ist mit der Welt, sondern immer potenziell verfügbar bleibt. Das erzeugt eine subtile Form der Kontrolle, die sich nicht mehr als Zwang äussert, sondern als innere Stimme: ‘Ich sollte posten. Ich sollte reagieren.’ Cogito, ergo sum? Denkste! Ich denke nicht mehr, weil ich andauernd am Posten von Nichtigkeiten bin, die eh keine Sau interessiert.
Das Fatale daran ist, dass diese ständige Verfügbarkeit nicht als auslaugende Belastung erlebt wird, sondern als superwichtige Pflicht zur Selbstverwirklichung. Man glaubt, man tue es für sich, während man in Wahrheit einem System dient, das von Aufmerksamkeit lebt. Es ist eine neue Form der schleichenden Entfremdung: Der Mensch steht nicht mehr unter fremdem Druck, sondern unter seinem eigenen.
Philosophisch betrachtet ist dies die Umwandlung von Freiheit in Selbstdisziplin. Man könnte von einer Technologie des Selbst sprechen, einer Praxis, in der Individuen sich selbst normieren, um als optimierte Subjekte zu funktionieren. LinkedIn ist ein Spiegel dieser seltsamen Logik: ein Ort, an dem Menschen mit grosser Selbstverständlichkeit freiwillig das tun, was früher Kontrolle hiess.
Der Preis dafür ist das Verschwinden von Grenzen. Das Private fliesst ins Berufliche, das Berufliche ins Persönliche, bis keine klare Linie mehr bleibt. Wer immer verfügbar ist, verliert nicht nur seine Ruhe, sondern seine innere Tiefe.
Die Effizienz als moralisches Ideal
Die moderne Arbeitswelt hat Effizienz zur moralischen Kategorie erhoben. Nicht mehr nur Maschinen, auch Menschen müssen jetzt ‘performen’. Diese Verwandlung hat längst das Denken infiziert. Auf LinkedIn wird Effizienz zur Tugend: Wer aktiv ist, gilt als fähig; wer reflektiert, als träge. Das Tempo ersetzt den Gehalt und eben die innere Tiefe.
Effizienz ist nicht mehr nur eine Methode, sondern ein Glaubenssystem. Sie dient als Legitimation für jede Form der Beschleunigung, auch dort, wo sie Sinn zerstört. Der effiziente Mensch ist derjenige, der sich selbst so organisiert, dass er jederzeit produktiv wirkt, in der Sprache und in der Selbstdarstellung.
Damit verschiebt sich der innere Wertekompass. Nicht das Nachdenken über den Sinn von Arbeit zählt, sondern ihre Darstellung. Diese Ästhetisierung von Effizienz führt zu einer paradoxen Form der Selbstentfremdung: Man arbeitet nicht mehr, um etwas zu bewirken, sondern um zu zeigen, dass man arbeitet.
LinkedIn ist das ideale Biotop dieser Mentalität. Die Plattform belohnt Regelmässigkeit, Geschwindigkeit, Sichtbarkeit, nicht Erkenntnis. Es ist die Logik der Maschine, die in den Menschen zurückkehrt. Das ‘Ich denke, also bin ich’ ist ersetzt worden durch: ‘Ich poste, also existiere ich.’ Doch diese permanente Dauerleistung hat einen hohen Preis. Sie erschöpft. Sie erschafft Menschen, die funktionieren, aber nicht mehr fühlen, die handeln, ohne zu verstehen, warum. In dieser Kultur wird die gedankliche Reflexion zur Anomalie. Die Fähigkeit, innezuhalten und in sich zu gehen, wird zur Schwäche. Vielleicht liegt darin die eigentliche Perversion unserer Zeit: dass wir uns selbst als Produktionsmittel betrachten und es ganz gelassen Normalität nennen.
Die semantische Verarmung der Arbeitskultur
LinkedIn ist ein Tummelplatz der formelhaften Sprache. Man kann kaum drei Beiträge lesen, ohne auf dieselben Phrasen zu stossen:
- Führung bedeutet Verantwortung
- Ich bin dankbar für mein Team
- Lernen hört nie auf
Diese Aussagen sind harmlos, aber diese etwas abstruse und doch einnehmende Harmlosigkeit hat eine Funktion. Die Sprache der Plattform hat sich der Rhetorik der Marken angepasst. Sie muss angenehm, affirmativ und risikofrei klingen. Kritik, Ambivalenz, Zweifel, einfach alles, was Reibung erzeugt oder das Räderwerk zum Knirschen bringt, verschwindet. Die Folge ist eine Art textliche Glätte, die jedes Denken hochpoliert, bis es einfach nichts mehr reflektiert.
Die Kommunikationswissenschaft spricht hier von ‘Affirmationssprache‘: einer Sprache, die Gemeinschaft herstellt, indem sie Komplexität vermeidet. Sie ist das Idiom einer Gesellschaft, die Harmonie höher schätzt als Wahrheit. Doch diese sprachliche Gleichförmigkeit hat eine tiefere Ursache: die Angst vor Bedeutung. Wer etwas sagt, das wirklich gilt, setzt sich aus. In einer Berufswelt, in der jedes Wort Teil einer Selbstvermarktung ist, wird ungeschminkte Echtheit zum Risiko. Und so sprechen alle, um sich nicht zu exponieren. Nicht aus Bosheit oder Ignoranz, sondern aus Selbstschutz.
Die Folge ist eine schleichende semantische Erosion: Sprache verliert ihre Fähigkeit, ehrliche Erkenntnisse in Worte zu fassen und dadurch Türen in verriegelten Köpfen zu öffnen. Sie wirkt dadurch ornamental, wie ein Logo. Sie dient nicht mehr der Erkenntnis, sondern der Stabilisierung von Zugehörigkeit.
Vielleicht erklärt das, warum so viele Menschen auf LinkedIn ständig ‘dankbar’ sind. Die inflationäre Dankbarkeit ist das universelle Ersatzgefühl einer Gesellschaft, die keine echten Gefühle mehr riskiert und lieber dankbar auf der sicheren Seite bleibt. Wörter mit Haifischzähnen scharf wie eine Holzsäge bleiben brav und lieb im Futteral der Anständigkeit stecken.
Die Ökonomie der angeblichen Echtheit
Kaum ein Begriff ist auf LinkedIn so extrem inflationär wie Authentizität und kaum einer so entleert. In der Logik der Plattform ist Authentizität kein innerer Zustand, sondern ein äusseres Signal. Man zeigt sich menschlich, um zu wirken; man zeigt Gefühle, um zu überzeugen. Diese Inszenierung der Echtheit ist die raffinierte Form moderner Selbstausbeutung. Sie verlangt vom Einzelnen, nicht nur kompetent, sondern auch gefühlvoll, nicht nur professionell, sondern auch ‘nahbar’ zu sein. Damit wird das ganze Selbst zur glitzernden Produktionsfläche.
Man könnte sagen, prononcierte Echtheit ist das neue Gesicht der Leistungsbereitschaft. Sie zeigt, dass man bereit ist, auch die eigenen Gefühle dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Selbst das Privateste wird zur Ressource, aus der ungehemmt Kapital geschlagen werden kann.
Philosophisch ist dies eine Pervertierung des Humanismus. Was einst Ausdruck von Freiheit war, das eigene Selbst zu zeigen, wird nun zum Imperativ: Du sollst du selbst sein. Nur dass dieses ‘Selbst längst ein optimiertes, kuratiertes, algorithmisch verwertbares Konstrukt ist. Der Mensch verliert sich nicht, weil er lügt, sondern weil er ehrlich sein muss, im Dienste einer Maschine, die Echtheit besser verkauft als Distanz.
Sichtbarkeit und das Verschwinden der Bedeutung
In der Ökonomie der Aufmerksamkeit ersetzt Sichtbarkeit Bedeutung. Sichtbar zu sein, gilt als Beweis für Relevanz, und Relevanz wiederum als Indikator für Wert. Diese Logik hat sich tief in unsere Identität eingeschrieben. LinkedIn ist ihre perfekte Echokammer. Hier zählt nicht, was gesagt wird, sondern dass gesagt wird. Die Plattform funktioniert wie ein perpetuum mobile der Präsenz: Jeder Beitrag erzeugt Aktivität, und Aktivität gilt als Erfolg.
Damit aber verliert Kommunikation ihre menschliche Wertigkeit. Sie wird nicht mehr durch Wahrhaftigkeit legitimiert, sondern durch Reichweite. Das Wort verliert seinen Ernst. Es wird funktional, transaktional, unbewohnt und seelenlos. In dieser Dauerpräsenz entsteht eine neue Form von Leere. Eine Leere, die nicht aus Schweigen, sondern aus Überproduktion besteht.
Alles wird gezeigt, nichts mehr erlebt. Der Kulturtheoretiker Hartmut Rosa spricht von ‘Resonanzverlust’: einer Welt, in der alles verfügbar, aber nichts mehr berührbar ist. Das Innere ist sandig und wird von mathematischen Algorithmen verweht. LinkedIn ist ein Resonanzraum ohne Resonanz, ein Ort, an dem man sich ununterbrochen zeigt, ohne je richtig gesehen zu werden.
Beziehung als Kennzahl
Der Begriff der Beziehung hat seine soziale Substanz verloren. Auf LinkedIn wird Beziehung als Performance gemessen: in Kommentaren, Likes, Interaktionen. Diese Reduktion auf Metrik zerstört genau das, was sie vorgibt zu erfassen. Beziehung ist kein quantifizierbarer Zustand, sondern ein Ereignis, das sich der Kontrolle entzieht. Sie lebt von Stille, Missverständnis, Unwägbarkeit, von haargenau jenen Momenten, die im digitalen Raum als ‘Ineffizienz’ gelten.
Doch die Plattform-Logik duldet keine Ineffizienz. Sie belohnt Repetition, nicht Überraschung. Das führt zu einer paradoxen Entleerung: Wir sprechen zwar miteinander, ohne uns zu begegnen. Diese Form der Sozialität ist die digitale Variante dessen, was man ‘Entfremdung’ nennt: Die Beziehung zum Anderen wird funktionalisiert, der Mensch wird Mittel zum Zweck seiner eigenen Sichtbarkeit.
Es ist die vollendete Form neoliberaler Subjektivität: das Ich als Miniunternehmen, das sich selbst als Marke verwaltet und dabei schlicht vergisst, dass Beziehung keine Marketingstrategie ist, sondern ein Zustand, der uns als Menschen ausweist und uns eben menschlich macht.
Müdigkeit als Signatur der Gegenwart
Am Ende bleibt bleierne Müdigkeit. Sie ist das unsichtbare Grundrauschen dieser Kommunikationskultur. Eine Müdigkeit, die nicht aus Faulheit, sondern aus Überforderung entsteht, aus dem Zwang, immer ‘etwas’ zu sein. Diese Erschöpfung ist nicht individuell, sondern strukturell. Sie ist das Schwungrad einer Gesellschaft, die das Menschliche in Effizienz übersetzt hat. LinkedIn ist eines dieser vielen Schaufenster der getriebenen Müdigkeit, die uns unmündig macht: eine Welt aus glänzenden Erfolgsgeschichten, die niemand mehr glaubt, und Ermutigungen, die niemand mehr spürt. Die Entwertung des angeblich so Wertigen stumpft ab und überfordert viele.
Man könnte sagen: Das Netzwerk leidet an seiner eigenen Energie. Es ist voller Bewegung, aber ohne Richtung. Es plappert ohne Unterlass, aber es weiss nicht mehr, warum. Vielleicht liegt darin die Chance. In einer Zeit, in der alles schon tausendmal gesagt ist, gewinnt das Schweigen eine neue Würde. Nicht das resignierte, sondern das denkende Schweigen. Das Schweigen, das wieder Raum schafft für Sinn, für echte Erfahrung, für Begegnung.
Denn wer alles teilt, hat irgendwann nichts mehr zu sagen.
 
 










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