Dez. 8

‚Ich bin die Firma‘: Chef-Egos ohne Nachfolgekonzept gefährden Unternehmen und Jobs.

Author: PersonalRadar

In vielen KMU ist der Blick nach vorne erstaunlich kurz. Man kennt die Auftragseingänge der nächsten Monate, die Liquidität der nächsten Wochen, die Ferienplanung der nächsten Tage. Aber eine Frage bleibt oft unbeantwortet: Wer führt dieses Unternehmen in zehn Jahren oder gibt es dieses dann überhaupt noch?

(Bildquelle: www.freepik.com)

Nachfolgeplanung wird gern in die diffuse Zukunft verschoben: später, wenn die Kinder wissen, was sie wollen; später, wenn der Markt ruhiger ist; später, wenn man ‘endlich Zeit hat’. Genau dieses ‘später’ ist das grösste Risiko. Denn Nachfolge betrifft nicht nur Eigentum, sondern die Existenz von Arbeitsplätzen, den Erhalt von Know-how, die Stabilität von Teams und die Glaubwürdigkeit als Arbeitgeber. Wer Nachfolge nur als juristisch-finanzielle Übung behandelt, unterschätzt ihre soziale Sprengkraft.

Demografie ohne Happy End

Die demografische Realität ist klar: Eine ganze Generation von Unternehmerinnen und Unternehmern steuert auf das Pensionsalter zu. Gleichzeitig ist Unternehmertum für viele Jüngere kein natürlicher Lebensplan mehr. Die Kinder übernehmen den Betrieb nicht automatisch, sie machen Karriere in Konzernen, Verwaltungen oder internationalen Organisationen.

Die romantische Erzählung vom Familienbetrieb, der selbstverständlich an die nächste Generation übergeht, passt noch in Jubiläumsbroschüren, aber längst nicht mehr in den Alltag.

Während man auf den ‘idealen Nachfolger’ wartet, läuft die Zeit davon. Bewerbende spüren diese Unsicherheit: Wer nicht weiss, wem das Unternehmen in Zukunft gehört, unterschreibt heute weniger gern den Arbeitsvertrag.

Wenn der Patron oder die Patronin das System ist

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Besonders fragil sind jene Unternehmen, in denen die Firma faktisch mit einer Person identisch ist. Der Patron oder die Patronin kennen alle Kunden:innen persönlich, entscheiden jede wichtige Offerte selbst, wissen allein, wie man heikle Situationen ‘schon immer’ gelöst hat. Nach aussen wirkt das schlank, flexibel, beeindruckend persönlich, in Wahrheit ist es brandgefährlich.

In solchen Strukturen fehlen nicht nur Nachfolgende. Es fehlt die Nachfolgefähigkeit: dokumentierte Prozesse, verteiltes Wissen, echte Stellvertretungen, eine zweite Führungsebene, die mehr ist als loyale Assistenz. Fällt die Schlüsselperson unerwartet aus, lässt sich das kaum kompensieren, weder mit Geld noch mit gutem Willen. Genau hier beginnt die eigentliche Aufgabe: aus einem Personenbetrieb schrittweise ein übergabefähiges Unternehmen zu machen.

Mitarbeitende in der Gerüchteküche

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Wenn Nachfolgeplanung verdrängt wird, merken die Mitarbeitenden das lange, bevor etwas offiziell kommuniziert wird. Gerüchte entstehen von selbst: ‘Die Firma wird verkauft’, ‘die Kinder wollen nicht’, ‘der Chef hört auf’. Die Folge ist nicht dramatisches Chaos, sondern stille Erosion: Die Falschen gehen zuerst, jene, die anderswo sofort eine Stelle bekommen. Wissen, Kundenbeziehungen und Teamstabilität fliessen leise ab.

Das Problem ist selten die Tatsache der Nachfolge, sondern die Art, wie sie versteckt, verharmlost oder vertagt wird. Wer Mitarbeitende nur informiert, wenn alles unterschrieben ist, verpasst die Chance, sie als Verbündete mitzunehmen. Eine ernsthafte Nachfolgeplanung braucht deshalb eine klare interne Erzählung: Was ist der Zeitplan? Wie lange arbeiten alte und neue Führung parallel? Was lässt sich ehrlich zusichern und wo bleibt Unsicherheit? Das sind keine Nebensätze, sondern Kernfragen. Und sie gehören ins Zentrum der Führungsarbeit.

Nachfolge als Modernisierungsschub

So unbequem das Thema ist: In jeder Nachfolge steckt eine Chance. Sie kann der Moment sein, in dem längst überfällige Themen endlich angepackt werden, Digitalisierung von Prozessen, Professionalisierung der Strukturen, klare Rollen statt historischer Gewohnheiten, moderne Arbeitsmodelle statt ‘Das haben wir immer so gemacht’.

Übergebende Personen tragen oft jahrzehntelang eine enorme Last: operative Verantwortung, finanzielles Risiko, emotionale Bindung. Nachfolgerinnen und Nachfolger können mit einem anderen Blick einsteigen, analytischer, datenbasierter, weniger von alten Geschichten geprägt. Wenn dieser Übergang bewusst gestaltet wird, kann das Unternehmen stabiler, klarer und attraktiver aus der Nachfolge hervorgehen, als es hineingegangen ist.

Die stille Macht der Nachfolgeorganisation

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Wer Nachfolge ernst nimmt, fragt nicht nur: ‘Wer kauft wann zu welchem Preis?’, sondern auch:

  • Wie alt sind unsere Schlüsselpersonen? Biologisch und mental?
  • Welche Wissensmonopole würden uns im Ernstfall das Genick brechen?
  • Wer könnte in fünf bis zehn Jahren Verantwortung tragen, wenn wir heute systematisch entwickeln?
  • Was sagen wir Mitarbeitenden und Bewerbenden ehrlich zur Zukunft dieses Unternehmens?

Genau hier entsteht der Unterschied zwischen ‘Laissez-Faire’ und proaktiver Gestaltung der Zukunft. Sie können Nachfolge auf die Agenda setzen, unangenehme Fragen stellen, strukturierten Wissenstransfer einfordern, zweite Reihen stärken und darauf drängen, dass Kommunikation nicht erst dann beginnt, wenn der Notar fertig ist.

Wer keine Nachfolge plant, plant den schleichenden Abbau

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Unternehmen brechen selten von einem Tag auf den andern zusammen. Sie erodieren: Talente gehen, Investitionen werden verschoben, Entscheidungen werden immer kurzfristiger, der Horizont schrumpft. Spätestens dann sinkt das Schiff. Nachfolgeplanung ist kein Luxusprojekt für ruhige Zeiten. Sie ist ein ehrlicher Umgang mit der eigenen Endlichkeit und mit der Verantwortung gegenüber den Menschen, die ihre Lebenszeit in dieses Unternehmen investieren.

Wer dieses Thema aktiv aufnimmt, sendet eine klare Botschaft: Wir wissen, wem dieses Unternehmen heute gehört. Aber wichtiger noch, wir sorgen dafür, dass es auch morgen jemandem gehört, der es weiterentwickelt. Und dass es sich lohnt, dabei zu bleiben.

PersonalRadar möchte an dieser Stelle auf die interessante Studie der Basler Kantonalbank zu diesem Thema aufmerksam machen: Studie der Basler Kantonalbank – Nachfolgeplanung von KMU in der Nordwestschweiz (PDF-Format, 28 Seiten auf Deutsch)