Wie viel Sexismus steckt noch in der Schweizer Arbeitswelt?
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bleibt in der Schweiz ein ernstzunehmendes, weit verbreitetes und oftmals unterschätztes Problem. Eine aktuelle, repräsentative Studie im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) sowie des SECO zeigt: Über die Hälfte der Arbeitnehmenden hat im Verlauf ihres Erwerbslebens mindestens eine Form von potenziell sexueller oder sexistischer Belästigung erlebt. Besonders betroffen sind junge Frauen, Mitarbeitende in der Romandie, Personen in Schichtarbeit sowie Angestellte in kundenintensiven Branchen wie Pflege, Gastronomie oder Detailhandel.
Die häufigsten Übergriffe reichen von abwertenden Sprüchen und anzüglichen Kommentaren bis hin zu unerwünschtem Körperkontakt, sexistischen Witzen oder explizitem Bildmaterial. Jeder dritte Fall spielt sich direkt am Arbeitsplatz ab, viele auch in Pausenräumen oder bei betrieblichen Anlässen wie Weihnachtsessen. Meist stammen die Übergriffe von Kollegen derselben Hierarchiestufe, doch auch Vorgesetzte und externe Personen wie Kunden oder Patienten sind häufig Urheber. Der Studie zufolge empfinden viele Betroffene die Vorfälle als tiefgreifend störend – mit Folgen wie Scham, Stress, Kündigungsabsichten oder einem stark belasteten Betriebsklima.
Besonders beunruhigend ist die Erkenntnis, dass viele Arbeitnehmende ihre Rechte nicht kennen. Nur jede fünfte befragte Person wusste über alle relevanten rechtlichen Aspekte Bescheid.
Und: Rund 20 Prozent der Betriebe verfügen über keinerlei Präventions- oder Interventionsmassnahmen. Obwohl die Mehrheit der Arbeitgebenden angibt, sexuelle Belästigung ernst zu nehmen, fehlt es oft an verbindlichen Strukturen, Schulungen und konkreten Ansprechstellen. Fast die Hälfte aller Unternehmen hat keine systematische Schulung der Führungskräfte zu diesem Thema implementiert.
Die Studie belegt deutlich: Wissen schützt. Doch daran mangelt es auf allen Ebenen. Die rechtliche Pflicht zur Prävention liegt beim Arbeitgeber, doch auch die Unternehmenskultur, eine klare Nulltoleranz-Politik und zugängliche Meldestrukturen sind entscheidend. Der Handlungsbedarf ist unübersehbar, insbesondere in kleinen Betrieben und in männerdominierten Branchen.
Schlussfolgerung
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist kein Randphänomen, sondern ein strukturelles Problem, das gezielte, wirksame Massnahmen erfordert – von der Aufklärung über Prävention bis hin zur rechtssicheren Intervention. HR-Verantwortliche sind gefordert, aktiv eine Kultur des Respekts und der Sicherheit zu schaffen, in der Übergriffe nicht toleriert und Betroffene geschützt werden.
- Studie zu sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz in der Schweiz (Kurzversion 20 Seiten, PDF Format)
- Studie zu sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz in der Schweiz (lange Version 120 Seiten, PDF Format)
DARVO: Die heimliche Waffe der Manipulator:innen in der Arbeitswelt.