Mai 15

Kooperationsbereitschaft kann schnell zur Falle werden

Author: PersonalRadar

In vielen Unternehmen gilt Verbindlichkeit als stilles Versprechen. Pünktlichkeit, Engagement und Kollegialität sind Werte, die im kollektiven Bewusstsein stark verankert sind. Doch was geschieht, wenn diese Werte zur persönlichen Bürde werden? Wenn das Bedürfnis nach Harmonie, die Angst vor Ablehnung oder ein falsch verstandenes Pflichtgefühl zu einem dauerhaften Muster führen – einem Muster, das uns nicht schützt, sondern schwächt?

(Bildquelle: www.freepik.com)

Die stille Selbstausbeutung ist kein plakatives Phänomen. Sie geschieht leise, oft unbemerkt, mit einem Lächeln im Gesicht und einem Kalender voller Termine, die eigentlich nicht unsere sind.

Der soziale Reflex des ‘Ja’ – Wir führen uns selbst in die Erschöpfung

In zahlreichen Studien zur Arbeitsmotivation zeigt sich ein wiederkehrendes Muster: Viele Menschen sagen ‘Ja’, obwohl sie eigentlich ‘Nein’ meinen. Nicht, weil sie die Aufgabe gerne übernehmen würden, sondern weil sie Angst haben, sonst als faul, schwierig oder unkooperativ zu gelten. Dieses Verhalten ist in der Schweizer Arbeitskultur, die auf Ausgleich und Konsens basiert, besonders ausgeprägt, geprägt von Pflichtbewusstsein, Teamgeist und dem tief verankerten Glauben, dass Arbeit auch Opfer verlangt.

Doch das ständige Ja-Sagen führt zu einem psychologischen Phänomen, das als Selbstentfremdung bezeichnet wird. Man verliert das Gespür für die eigene Belastbarkeit, übergeht innere Warnsignale und identifiziert sich irgendwann nur noch über die Funktion, nicht mehr über das eigene Selbst. In Teamkontexten wird dies oft skrupellos ausgenutzt, nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil Gegebenheiten dazu einladen:

  • Wer stets verfügbar ist, bekommt mehr Aufgaben
  • Wer nie klagt, wird nicht entlastet
  • Und wer nie aufbegehrt, gilt als selbstverständlich

Was kann man dagegen tun? Die Fähigkeit, Grenzen klar zu kommunizieren, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck von Selbstführung. Wer das eigene ‘Nein’ kultiviert, schafft Raum für Qualität statt Quantität – im Tun, Denken und Fühlen.

Das ignorierte Bauchgefühl

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Intuition wird gerne belächelt. Wir sind angeblich alle rational gesteuert und auf der Höhe der Zeit. Doch moderne arbeitspsychologische Forschung zeigt: Unser sogenanntes ‘somatisches Bewertungssystem’ – also das Bauchgefühl – trifft häufig schnellere und treffendere Entscheidungen als der Verstand. Besonders bei sozialen Interaktionen, Hierarchien oder subtilen Machtverhältnissen im Team.

Wer sich immer wieder über das eigene Unbehagen hinwegsetzt, leistet langfristig Vorschub für Burnout, psychosomatische Beschwerden und emotionale Erschöpfung. Gerade Mitarbeitende, die besonders einfühlsam sind, neigen dazu, eigene Warnsignale zu ignorieren, um niemandem zur Last zu fallen, um Harmonie zu wahren oder um sich nicht zu ‘empfindlich’ zu fühlen.

Was kann man dagegen tun? Emotionale Intelligenz bedeutet nicht, Gefühle zu unterdrücken, sondern sie präzise wahrzunehmen. Wer lernt, zwischen produktivem Unbehagen und toxischer Umgebung zu unterscheiden, kann sich selbst gezielter schützen, und erkennt rechtzeitig, wann es Zeit ist, innerlich auf Distanz zu gehen.

Mangelnde Abgrenzung ist eine Einladung

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In der Teamdynamik gibt es ein kaum beachtetes Gesetz: Dort, wo keine Grenzen sichtbar sind, entstehen automatisch Erwartungen. Wer ständig verfügbar ist, der wird irgendwann auch als dauerhaft belastbar wahrgenommen. Wer nie widerspricht, der signalisiert Zustimmung, selbst dann, wenn innerlich Ablehnung herrscht.

Das Problem: Grenzen, die nicht ausgesprochen werden, werden auch nicht respektiert. Besonders in hybriden Arbeitsmodellen, wo physische Distanz mit digitaler Dauerverfügbarkeit einhergeht, verschwimmen die Linien zwischen Arbeitszeit und Freizeit, zwischen Pflicht und Freiwilligkeit.

Die Psychologie spricht hier vom diffusen Rollenverständnis: Mitarbeitende übernehmen Aufgaben, die sie weder formal zugewiesen noch bewusst gewählt haben, aus Loyalität, Gewohnheit oder stiller Erwartungshaltung. Das Resultat: Überforderung, Unsichtbarkeit der eigenen Leistung und eine schleichende Erschöpfung.

Was kann man dagegen tun? Machen Sie Ihre Grenzen sichtbar – sprachlich, organisatorisch und emotional. Wer seine eigenen Bedürfnisse klar äussert, wird langfristig respektiert, auch wenn dies kurzfristig Irritation auslöst.

Konfliktvermeidung wird zur Kostenfalle

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Viele Menschen sind so sozialisiert worden, dass Harmonie höher zu gewichten ist als Konfrontation. Das Phänomen äussert sich häufig durch eine indirekte Kommunikation: Probleme werden angesprochen, ohne sie direkt zu benennen. Das spart kurzfristig Reibung, erzeugt aber langfristig innere Spannungen. Arbeitspsychologisch ist das heikel. Denn das systematische Vermeiden von Konflikten führt zu innerem Druck. Konflikte, die nicht im Aussen gelöst werden, arbeiten im Inneren weiter, als Groll, Kränkung, Rückzug oder stille Resignation.

Besonders in Führungsetagen führt dies zu einem Klima der Pseudo-Harmonie: Alle nicken, keiner spricht an, was nicht funktioniert. Mitarbeitende, die lieber schlucken als sprechen, verlieren nicht nur ihre eigene Stimme, sie werden auch zum Kollateralschaden einer ostentativen Haltung der stillen Vermeidung.

Was kann man dagegen tun? Lernen Sie, Konflikte nicht als Bruch, sondern als Entwicklungschance zu sehen. Konstruktive Reibung erzeugt Innovation und verhindert emotionale Stagnation.

Fehlende Präsenz

‘Hätte ich doch…’, ‘Was wäre wenn…?’ – diese Gedanken kennen viele. Doch wer gedanklich permanent in der Vergangenheit oder Zukunft verweilt, verliert den Kontakt zum Jetzt. Und genau dieser Kontakt ist entscheidend, um sich bei der Arbeit zu behaupten. Präsenz bedeutet nicht nur körperlich anwesend zu sein, sondern geistig klar, aufmerksam und innerlich verankert.

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Fehlende Präsenz führt zu Unachtsamkeit, nicht nur bei Aufgaben, sondern auch im sozialen Miteinander. Machtspiele, subtile Ausgrenzung oder verdeckte Vereinnahmung werden nicht erkannt, weil man zu beschäftigt ist, innerlich woanders zu sein. So entstehen Dynamiken, in denen man zum Spielball wird, ohne es zu merken.

Was kann man dagegen tun? Achtsamkeit ist kein esoterisches Konzept, sondern eine arbeitspsychologische Ressource. Wer regelmässig mentale Check-ins durchführt, das eigene Stresslevel reflektiert und bewusst Pausen einplant, stärkt nicht nur seine Konzentration – sondern auch seine persönliche Integrität.

Selbstachtung ist die Basis für professionelle Wirksamkeit

Alles dreht sich immer schneller. Deshalb ist die Fähigkeit zur Selbstführung wichtiger denn je.

  • Wer nicht weiss, was er braucht, wird anderen dienen – aber nie sich selbst.
  • Wer sich nicht abgrenzt, wird funktional – aber nie wirksam.
  • Wer nicht für sich einsteht, verliert über kurz oder lang den Kontakt zu seiner beruflichen Identität.

Sich selbst nicht ausnutzen zu lassen, beginnt mit einem radikal ehrlichen Blick nach innen. Welche Rollen übernehme ich freiwillig und welche aus Angst? Wo diene ich dem System – und wo verrate ich mich selbst? Was fühlt sich gut an und was nur pflichtschuldig?

Die Antworten auf diese Fragen sind nicht bequem. Aber sie sind notwendig, um nicht nur erfolgreich zu arbeiten, sondern auch gesund zu bleiben.

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