Jan 5

Die Chemie-, Pharma- und Biotechnologiebranche auf dem Prüfstand.

Autor: PersonalRadar

Das Jahr 2009 unterzog neben der Finanz- und Versicherungsbranche auch der in Schweiz ansässigen Chemie-, Pharma- und Life-Sciences-Branche einer harten Prüfung. Während die einen Unternehmen gestärkt aus der von der Krise gebeutelten Wirtschaft hinaus gingen, mussten andere harte Rückschläge entgegen nehmen und für die Unternehmen und besonders die Mitarbeitenden harte Entscheidungen treffen. Es gab Aufsteiger und Umsteiger, jedoch auch Absteiger und Aussteiger.

Für die Basler Flagschiffe Novartis Pharma AG und F. Hoffmann – La Roche AG schien das Jahr 2009 ein Jahr des Wachstums wie zuvor zu sein. Es sah aus, als ob die Firmen auf Wirtschaftskrisen, und seien sie auch noch so massiv, sehr träge reagieren. Obwohl beide Firmen im Februar starke Kurseinbrüche erleben mussten, fanden sich beide Firmen im Herbst wieder nicht nur gleich, sondern gar besser positioniert als im Frühling wieder. Während die Schweinegrippe den beiden Firmen einen Gewinnwachstum generierte (Celtura® von Novartis und Tamiflu® von Roche), konnte die Roche besonders durch die Übernahme des ersten als solches gegründete Biotechnologieunternehmen Genentech Mitte des Jahres massiv punkten. Obwohl die in diesem Bereich erfolgsverwöhnten Anleger mit der Pharmabranche 2009 haderten, was auch auf das Gerangel mit dem zu übernehmenden Unternehmen zurückzuführen war, zollten sie dem Einstieg in den zukunftsträchtigen Biotechnologie-Markt ihren gebührenden Respekt.

Ein weiterer Gewinner, ähnlich der Life Sciences-Sparte, welche immerhin 4% des schweizerischen BIP ausmacht (in der Region Basel sogar 19%), war die Nahrungsmittelindustrie. Während Nestlé S.A zu Beginn des Jahres mit einem ähnlichen Kurseinbruch wie die Pharmariesen zu kämpfen hatte, wuchs das Unternehmen das ganze Jahr über. Obwohl die soliden Werte des Riesen des Öfteren ungerechtfertigt vernachlässigt werden, gilt dieser grösste Nahrungsmittelhersteller der Welt als die wertvollste Firma der Schweiz. Dies ist besonders auf die Sparte Nespresso S.A. zurückzuführen, welche mit einem zweistelligen Wachstum unterwegs ist und in Avenches (VD) mit dem neuen Produktionswerk bis zu 340 neue Stellen schaffte. Die Befürchtungen, welche das Unternehmen aufgrund der angenommenen Minarettinitiative hatte, waren glücklicherweise übertrieben.

Auch der in der Schweiz ansässige holländische Pharma- und Nahrungsmittelhersteller, DSM Nutritional Products AG, welcher durch die Übernahme der Feinchemikalien- und Vitaminsparte der F. Hoffmann – La Roche AG 2004 in der Region Basel Fuss fasste, konnte den Gewinnwachstum nach diversen Rückschlägen im letzten Jahr (Wegfall von 1000 Arbeitsplätzen) nun wieder halten, was auch auf die bekräftigten Verkaufsplänen (Konzentration auf Ernährungs- und Pharmabranche) zurückzuführen war. Auch wenn die Strategie des Unternehmens vorsichtiger geworden ist, befindet es sich ebenfalls auf Kurs. So wurde auch die Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Lohnhersteller Lonza AG verlängert.

Der absolute Gewinner unter den grossen Global Players des Jahres 2009 der Schweizer Unternehmen ist bei weitem der Saatgut- und Pflanzenschutzhersteller Syngenta AG, welcher die Gewinnprognosen mit Genugtuung bestätigen konnte. Neben der Übernahme von zwei US-Unternehmen für Salatsaatgut, der Zulassungen von Maisgut-Technologien in Argentinien und Brasilien konnte sich das Unternehmen durch eine neu gegründete Venture-Tochter an einer US-Biotechfirma beteiligen und so ihre Position auf dem sich etablierenden Life-Sciences-Markt behaupten.

Der Vergleich dieser drei Top Player auf dem Ernährungsmarkt zeigt, dass trotz Krise und egal wie schlimm es um die globale Wirtschaft steht, die Menschheit immer noch essen muss. Auch wenn dies etwas zynisch tönt, darf es nicht verschwiegen werden.

Für mittelgrosse Firmen war das Jahr 2009 doch relativ schwierig. Als Pharmawirkstoffe und Zwischenprodukte produzierendes Life-Sciences-Unternehmen konnte die Firma Lonza AG das versprochene Wachstum nicht halten, was vor allem auf die Häufung von Abbestellungen und Verschiebung von Projekten durch den Lagerabbau auf Kundenseite aber auch auf Preis- und Mengenreduktionen zurückzuführen war.

Obwohl die Firma laut dem CEO keine strukturellen Probleme habe, soll die Volatilität in der Branche doch noch weitere zwei Jahre anhalten. Trotz aller Zuversicht verlor der Aktienkurs im November über 16%. So sind auch die Sparmassnahmen massiv, weltweit werden wohl bis 450 Stellen abgebaut. Gute Nachrichten sind, dass im Bereich Biopharmaceuticals die Kapazitätsauslastung von 43 % im zweiten Quartal auf 62% im dritten Quartal stieg, während der Bereich Exklusivsynthese stabil bei 77% gehalten werden konnte.

Ebenfalls in die Sparte der KMUs und den Bereich Life Sciences gehört das schweizerische Medizinaltechnologieunternehmen Straumann AG, dem weltweit führenden Anbieter von implantatgestütztem, restaurativem Zahnersatz und oraler Geweberegenerationen.

Auch wenn das Unternehmen einen leichten Abschwung hinnehmen musste, was auf die Schrumpfung des Zahnimplantatmarktes zurückzuführen war, konnte das Unternehmen im Sommer 2009 das Umsatzziel bestätigen, was einen Kursanstieg herbeiführte. Und obwohl im Dezember der Zahnimplantatmarkt und somit Straumann und seine Konkurrenten Novel Biocare, 3i, Friadent, Camlog und Implant Direct von den Schweizerischen Preisüberwachern betreffend überrissenen Preisen gerügt wurde, befindet sich das Unternehmen auf Erfolgskurs.

Ganz anders erging es dem in der Schweiz ansässige US-Unternehmen Synthes AG, welches durch die Aussage, dass steigende Arbeitslosigkeit, verändertes Freizeitverhalten, weniger Unfälle die Auswirkungen der Wirtschaftskrise begründeten, nur Kopfschütteln auslöste.

Denn wiederholte Abwärtskorrekturen der Umsatzziele sowie eine US-Klage wegen unzulässiger Vermarktung des Knochenersatzmaterials Norian XR® goutierten die Anleger überhaupt nicht. Wenigstens im Sommer 2009 konnte die Firma einen Erfolg verbuchen, als das Unternehmen zusammen mit deutschen Forschern den hoch dotierten Schrödinger-Preis erhielten. Im Herbst war Synthes wieder auf Wachstumskurs, musste jedoch im November ein Brust- und Lendenwirbelersatz zurück rufen und Warnungen der FDA akzeptieren, welches das Produkt als „möglicherweise gesundheitsschädlich“ einstufte. Die Entwicklung von Synthes wird im nächsten Jahr auf jeden Fall spannend.

Kleinere und vor allem jüngere Unternehmen der Pharmabranche hatten es dieses Jahr besonders schwer. Obwohl das erfolgsverwöhnte Biotechnologieunternehmen Actelion AG im Februar 2009 auch einen herben Kursrückgang verbuchen musste, war es dank den in der klinischen Phase III befindenden Hoffnungsträger und den weiteren FDA-Zulassungen für die Produkte Tracleer® und Ventavis® wieder ein aufsteigender Stern am Horizont.

Wären da nur nicht die schlechten Nachrichten Ende des Jahres, dass  Actelion in den USA eine fast dreistellige Millionenklage im Haus steht und Sicherheitsbeobachtungen bei Schlafmedikament Almorexant® gemacht wurden. Das erklärte Ziel der Firma Actelion, zur Genentech von Europa zu werden, ist jedoch gar nicht so abwegig und die Zukunft wird auf jeden Fall spannend.

Unter einem weniger guten Stern stehen die beiden Unternehmen Bachem AG und Basilea Pharmaceutica AG.

Während die Pharmafirma Bachem AG, einem Feinchemikalienzulieferer für die Pharma- und Biotechnologiebranche, trotz schlechten Jahreszahlen keine Übernahme bevorsteht (was aufgrund der 2/3 Aktien-Mehrheit von Verwaltungsrat und Management auch nicht möglich ist), wird Basilea bereits als möglicher Übernahmekandidat (sogar durch Actelion) angesehen. Der Umsatzrückgang der Firma Bachem basiert wie bei vielen Auftragsherstellern auf den Sparmassnahmen der Kunden.

Bei Basilea Pharmaceutica AG sieht es jedoch ganz anders aus. Die Firma war, obwohl gleich alt und als Spin-off von Roche genauso vielversprechend wie Actelion, stets von Rückschlägen gebeutelt.

Das ohnehin miserable Börsenjahr der Schweizer Biotechnologiebranche, welche besonders im Februar 2009 mit voller Wucht auf das Unternehmen einbrach, wurde durch die dreimalige Nichtzulassung des Antiinfektionsmittel Ceftobiprol® durch die FDA verursacht. Besonders ärgerlich ist, dass die Nichtzulassung auch auf die Kooperation bei der Entwicklung dieses Produktes mit dem amerikanischen Pharmaunternehmen Johnson&Johnson zurückzuführen ist, welches für die Studien verantwortlich war. Es ist verständlich, dass in diesem Zusammenhag kritische Fragen auftauchen, da interessanterweise ein bei J&J auslaufendes Antibiotikum ersetzt werden muss. Nun versucht Basilea, im Rahmen eines Schiedsgerichtes von J&J eine Entschädigung zu erhalten. Es wird ein harter Weg für Basilea, um einerseits den Kampf mit J&J zu gewinnen und andererseits selbstständig die Studien für das Produkt durchzuführen. Es ist fraglich, ob die finanziellen Mittel dazu ausreichen werden. Das kommende Jahr wird die Firma Basilea mit Sicherheit nicht minder im Zangengriff behalten.

Besonders hart traf es noch kleinere Firmen wie Santhera, Cytos und Addex. Beim Pharmaunternehmen Santhera AG befand sich im Mai dieses Jahres die Aktie auf freien Fall, nachdem schlechte Studienergebnisse zum Hauptprodukt Catena® bekannt wurden.

Trotzdem sind CEO und Investoren zuversichtlich, dass in 1-2 Jahren ein Erfolg der Studien möglich sein wird und dass das Produkt somit einer Zulassung näher kommt. Trotzdem musste das Management regieren und 26 von 82 Arbeitsplätzen abbauen.

Anderen Firmen ging es noch schlechter. So verschwanden junge Firmen wie Speedel, und Arpida mehr oder weniger ganz von der Bühne. Während Speedel bereits Ende 2008 von Novartis vollständig übernommen wurde, konnte Arpida mit Evola fusionieren. Von der Fusion ausgeschlossen war das Produkt Iclaprim®, welches an das Unternehmen Acino Pharma AG verkauft wurde.

Letztere Firma ist eines der interessantesten, jüngeren Protagonisten des Schweizer Pharmamarktes. Früher eine an Schweizerhall beteiligte Firma, hat sich die aus Basel operierende Acino Pharma AG zu einem interessanten Pharma- und speziell Generikaunternehmen mit Zukunft entwickelt.

Trotz leichtem Umsatz- und Gewinnrückgang konnte Acino den Ausblick fürs Geschäftsjahr 2009 bestätigen. Auf das Jahresergebnis drückt besonders der deutsche Markt. Als Konsequenz nahm im Dezember 2009 der Deutschlandchef den Hut. Interessant an diesem Unternehmen ist, dass es nicht nur die Entwicklung von eigenen Produkten vorantreibt, sondern auch eine umfassende Dienstleistungspalette anbietet, welche von der Produktentwicklung und –registrierung über die Beschaffung und Lohnherstellung bis zur Verpackung und Logistik reicht. Hinter versteckten Kulissen wird die Acino Pharma AG von anderen grossen, schweizerischen Generikaherstellern bereits als ernst zu nehmender Gegner angesehen.

Auch im Bereich der Spezialitätenchemie kam es zu interessanten Wendungen.

Während die innovationsschwache Ciba S.C. AG in Basel in den vergangenen Jahren nach und nach zersplitterte, indem die Division Polymere 2003 und das Textilchemikaliengeschäft 2006 an die Huntsman GmbH abgetreten wurden und der Rest des schweizerischen Traditionsunternehmens 2009 vom deutschen Giganten BASF endgültig geschluckt wurde, konnte das ebenfalls in der Schweiz ansässige US-Unternehmen Dow Chemicals AG seine massive Talfahrt bremsen. Einerseits wurde das Unternehmen durch einen Milliardenzukauf in den USA zum führenden Salzproduzenten, andererseits stieg Dow im November 2009 ins nachhaltige und innovative Solargeschäft ein. Dadurch schaffte es diese Firma Ende 2009 sogar aus den roten Zahlen.

Interessant ist auch der Bereich der Bauchemie. Während besonders die innovative Biotechnologiebranche durch stockende Investoren leiden musste, schafften es zwei eher unscheinbar wirkende Schweizer Unternehmen erfolgreich durch das 2009.

Während das Unternehmen Sika AG zwar aufgrund der Talfahrt der Autoindustrie und der Flaute auf dem Baumarkt nach unten gezogen, der Gewinn geschmälert wurde und Sparen inklusive Stellenabbau unumgänglich waren, konnte das Unternehmen Holcim AG sein Wachstum noch besser gegen die Konkurrenz verteidigen. Eine Ursache für die positive Entwicklung war auch, dass sich die Flaute auf der Baubranche vor allem auf die USA konzentrierte und Holcim sich neben Südamerika stark in Asien wie China etablieren konnte. Die Zukunft wird jedoch wieder ungewiss, nachdem Ende 2009 der drohende Zahlungsausfall von Dubai bekannt wurde. Die beiden Firmen schlossen trotzdem gut ab, obwohl ein auch in Europa schrumpfender Markt die nächsten 4-5 Jahre negativ beherrschen wird.

Fazit: Das Jahr 2009 brachte der Chemie- und Pharmabranche einiges an Veränderung.

Während die Firmen Novartis Pharma AG und F. Hoffmann – La Roche AG dank ihrer Grösse und somit ihrer Trägheit ein gutes Jahr verzeichnen konnten, war es für mittlere Unternehmen besonders schwierig, sich zu positionieren. Am härtesten traf es die junge Biotechnologiebranche, welche nach wie vor auf Investoren angewiesen ist und in Zeiten von grösseren Wirtschaftskrisen scheinbar vernachlässigt wird. Leider hat dies dazu geführt, das viele innovative Unternehmen an der Kostenschraube drehen, Stellen abbauen oder gar fusionieren mussten. Die Zukunft für die Branche sieht aber sehr rosig aus. Einerseits sehen auch die Grossen das Potential der Biotechnologie, so wurde die F. Hoffmann – La Roche AG durch die Übernahme von Genentech ein Pharmaunternehmen, welches zu 50% Biotechnologie betreibt.

Nicht nur die Chemie- und Pharmabranche, sondern die Schweizer Wirtschaft allgemein ist weltweit sehr gut positioniert.

Nach Dänemark, Norwegen und Österreich besitzt die Schweiz die höchste Beschäftigungsquote, das heisst vor den USA, den OECD allgemein und besonders Deutschland und Frankreich. Die Schweiz muss ihre Position in der Welt nicht finden. Sie muss sich nur ihrer Stärken endlich bewusst werden und seine auf liberalen Werten wie Freiheit nach klaren Regeln basierende Innovationskraft in der Lehre, der Forschung und der Entwicklung gezielt einsetzen. Die Schweiz kann klar gestärkt aus der Krise heraus kommen, dazu muss sie sich aber auch trauen, ihre guten Karten auch auszuspielen.